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Eine Museumsreise in Midi-Pyrénées
Ein Hofmaler, der in seinen Bildern die Schrecken des Krieges und die Dekadenz von Adel und Klerikern angriff. Ein zwergwüchsiger Krüppel von adeliger Geburt, der schon vor seinem 38. Geburtstag an zu wenig Liebe und zu viel Absinth starb. Und ein Malerfürst des Klassizismus, den der König zum Ritter der Ehrenlegion schlug. Diesem Dreigespann Goya, Toulouse-Lautrec und Ingres haben drei Städte in der südfranzösischen Region Midi-Pyrénées jeweils eigene Museen gewidmet, die man ohne große Mühe innerhalb eines Tages besuchen kann.
Der 1780 in Montauban geborene Jean-Auguste-Dominique Ingres war ganz sicher kein Mann, der den modernen Malern nahe stand. Er liebte den Geist der Antike und verbrachte viele Jahre in Rom und Florenz, wo er fleißig großformatige mythologische und religiöse Bilder malte. In seiner Heimat wurde er lange abgelehnt, von den Kritikern wegen seiner Rückwärtsgewandtheit als „gotisch“ verspottet, von den Bilderstürmern der romantischen Schule als gekünstelt und melodramatisch angegriffen. Dass er dennoch einer der berühmtesten französischen Maler des frühen 19. Jahrhunderts wurde, verdankt er vor allem seinen Portraits und Akten, auch wenn er selbst über diese Arbeiten spottete: “Alle Muskeln sind meine Freunde, aber ich kenne keine beim Namen.“ Vor allem seine Rückenakte sind grandios, wie die „Die Badende von Valpecon“, die gleich im Eingang des Museums in Montauban hängt, wenn auch leider nur als Kopie, während das Original eine der Attraktionen im Pariser Louvre ist.
Das Musée Ingres ist in der bischöflichen Residenz aus dem 17. Jahrhundert untergebracht, einem imposanten Backsteinbau direkt neben der Brücke über die Tarn. Der Maler hatte sich zeitig um seinen Nachruhm bemüht. Schon 1851, sechzehn Jahre vor seinem Tod, spendete er seiner Heimatstadt 30 Gemälde, davon allerdings nur ein einziges von eigener Hand. Ingres Geschenk war wohl bedacht, denn im Louvre wäre seine Sammlung, die viele Werke kleiner italienischer und holländischer Meister einschloss, sicher nicht eine solch exponierte Präsentation zuteil geworden. Die Honoratioren der Stadt waren allerdings ein wenig enttäuscht. Ein paar mehr Werke des berühmten Malers hatten sie schon erwartet. Sie mussten auf sein Erbe hoffen, das dann auch, drei Dutzend Werke des Meisters eingeschlossen, nach Montauban ging – ein Schatz für die Stadt, und durch das 1867 eröffnete Museum ein gewaltiges Denkmal für den Künstler.
Etwa 70 km oder eine Autostunde Fahrt entfernt liegt die alte Katharerstadt Albi mit ihrer weltberühmten Kathedrale. Wieder ist die wertvolle Sammlung im ehemaligen Bischofspalais untergebracht und diesmal ist der Standort schon eine Kuriosität, denn einen weniger gottgefälligen Mann als Henri Toulouse-Lautrec hätte man in seiner Heimatstadt Albi nur schwer finden können. Kurt Tucholsky, der 1925 das Museum besuchte und sogar noch der vierundachtzigjährigen Mutter des Künstlers seine Aufwartung machte, zitierte den kleinen Maler, der manchmal sogar bescheiden sein konnte: „Ich bin immer nur ein Bleistift gewesen, alle meine Tage“. Nach dem Gang durch die Ausstellung stellte der sichtlich beeindruckte Tucholsky fest: “Der Mann war in seiner Ausbildung ein Handwerker ... und auf diesem Grund hat er gebaut.“ Wieder einmal also kein verrücktes Genie, sondern ein Maler, der sich seine Ausdrucksmöglichkeiten hart erarbeitet hatte. Die Comtesse de Toulouse-Lautrec hätte die Bilder ihres Sohnes übrigens lieber im Louvre oder einem anderen Hauptstadtmuseum gesehen – aber die lehnten den Nachlass ab (woran man in Paris nicht gerne erinnert wird.)
Noch vor einigen Jahren war das Museum in einem schrecklichen Zustand. Die hölzernen Fußböden stöhnten unter jedem Schritt, altmodische Strahler warfen trübes Licht, die Wände waren mit kratziger Jute bespannt, in den Ecken unter der Decke blühten Wasserflecken. Das hat sich gebessert. Zumindest das seit drei Jahren neu eröffnete Untergeschoss mit den steinernen Rundbögen ist in gutem Zustand. Schon die Pferdebilder des 13jährigen Jungen belegen eindrucksvoll sein enormes Talent – und seinen offensichtlichen Wunsch, den pferdenärrischen Vater zu beeindrucken. Aber dann brach sich der durch eine Erbkrankheit geschwächte Henri binnen eines Jahres beide Beine und der Junge geriet zum 1,52 m kleinen Mann mit kräftigem Oberkörper und schrecklich kurzen Beinen. Der Maler ging wenig zimperlich mit seiner Behinderung um: Im Untergeschoss des Museums hängt seine wenig schmeichelhafte Zeichnung eines hässlichen Zwerges mit Hut und sehr dickem Hintern.
Über 1.000 seiner Gemälde, Bilder, Zeichnungen und Grafiken sind im Museum ausgestellt – mehr als irgendwo sonst auf der Welt – was im ersten Geschoss einen beeindruckenden Bummel durch die Welt der Boulevards, Cabarets und Bordelle ermöglicht. Fast alle Hurenbilder charakterisiert ein grober Strich, die Gemälde, Skizzen und Zeichnungen zeigen unverstellt Müdigkeit, Erschöpfung und welkes Fleisch. Viele dieser Momentaufnahmen hat Toulouse-Lautrec auf Pappe gemalt, oft sind die Figuren nur umrissen und in den Gesichtern oder den Kleidern nur einige wenige Farbakzente gesetzt. Er arbeitete schnell, schien zu wissen, dass ihm nicht viel Zeit blieb – und er sollte ja recht behalten.
Unter dem Dach hängen seine weltberühmten Plakate, die vielleicht größten Geniestreiche des versoffenen Bohemiens. Sein Mut – und auch der Mut seiner Auftraggeber – war beträchtlich. Einige seiner Arbeiten verspotten geradezu das Publikum, zeigen üble Karikaturen potenzieller Gäste auf dem Weg zu einem ziemlich frivolen Vergnügen – und das beschimpfte Publikum kam auch noch in Scharen. Gleichzeitig wusste er seine Stars in Szene zu setzen – May Milton, Jane Avril und den großen Aristide Bruant mit dem roten Schal. Mit diesen Ikonen der Werbung ist der kleine Mann zu einem der bekanntesten Maler des späten 19. Jahrhunderts geworden, was für den Kritiker Robert Hughes damit zusammenhängt, dass „die Kluft zwischen Lautrecs Absinthtrinkern und der Schickeria, die im Hinterzimmer des Studios 54 kokst, weniger tief ist, als man meinen könnte.“ Hughes empfiehlt ihn uneingeschränkt: Er ist einer „der Väter der Moderne.“
Nach diesem zweiten Rundgang ist es vielleicht Zeit für – wie Kurt Tucholsky schrieb – „ein bisschen Käschen, Obstchen und Kaffeechen“ im Café mit Blick auf den gewaltigen Dom aus rotem Stein. Alternativ isst der Reisende in Sachen Kultur einen Carré du Tarn, einen Käse aus Chamois-Ziegenmilch, der während der achtmonatigen Reife eine weißliche Kruste und bläuliche Adern entwickelt. Dieser Käse ist seit jeher ein landwirtschaftliches Hofprodukt, das bis heute nicht industriell produziert wird. Wer dann noch mag, fährt eine Dreiviertelstunde nach Castres und besucht das Musée Goya.
Auch dieses Museum geht auf eine Schenkung zurück und wieder ist es der Bischofspalast, in dem es seit jetzt beinahe sechzig Jahren unter dem Namen Musée Goya untergebracht ist. Der noble Spender hieß Marcel Briguibol, ein Maler, der in Barcelona studiert hatte und zum Liebhaber spanischer Kunst geworden war. Eine kleine Stadt wie Castres mit ihren 43.000 Einwohnern hätte solch eine Sammlung nie finanzieren können. Briguibol, der durch seine Schenkung auch ein wenig Unsterblichkeit gewann, (was wohl in seiner Absicht lag), schenkte Castres den Grundstock für ein Museum, dessen Bedeutung weit über den Ort hinausstrahlt – auch wenn nur drei der präsentierten Gemälde von Goya sind: sein Selbstportrait mit Brille, ein Portrait von Francisco del Mazo und das gewaltige, 327 auf 417 cm große Gemälde „Junta of the Philippines“. Dazu zeigt das Museum in seinen hübsch verstaubten Räumen die komplette Sammlung aller goyaschen Stiche: Von den „Caprichos“, die wegen ihrer scharfen Kritik an Adel und Klerus schon zwei Tagen nach ihrem Erscheinen wieder vom Markt verschwanden bis hin zu der alptraumhaften Serie „Die Schrecken des Krieges“. Außerdem hängen im Musée Goya Gemälde von Pacheco und ein Velazques-Portrait von Philipp IV, daneben Werke von Ribera, Zurbarán, Cano und Murillo – was zusammengenommen die größte Sammlung spanischer Malerei in Frankreich ist, jenseits des Louvre natürlich.
Nach diesem dritten Museumsbesuch dürfte der Kunstliebhaber rechtschaffen müde sein. Er hat sich ein Glas Wein in einem der Cafés am Ufer des Tarn-Zuflusses verdient, wo das Wasser die Fassaden der hübschen Häuser spiegelt. Ein letzter Tipp: Eine Flasche von einem der Güter im nahen Gaillac wäre eine gute Wahl.
Tageszeitung
Dieser Artikel erschien, leicht gekürzt, im Frühjahr 2011 in der Berliner Zeitung anlässlich der ITB, der weltweit größten Tourismusbörse.