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 Bericht

Der Kurfürst tanzt

van Brachts Barockes Panoptikum

Wenn auf dem Gelände der Landesgartenschau dicht gedrängte Menschentrauben im Halbkreis stehen, hat das häufig seinen Grund in einem Dutzend weiß gekleideter Figuren, die tanzend, singend und höchst charmant ein sehr jetztzeitiges Barock-Theater inszenieren. Sie locken die Menschen zur Bühne an der Orangerie unter Bäumen, geleiten Besucher hinüber zum Hochseil, singen vor der Fontäne am Schlossteich ein Lied – kurz, sie sind allgegenwärtig im Schlosspark. Ihr Aufzug mit gepuderten hellen Allongeperücken, weißen Kniebundhosen und ebenso weißen spitzengesäumten Unterröcken unter geplusterten Röcken kommt gut an. Angeführt wird die Truppe vom Großen Kurfürsten, der seit seinem Tod vor über 300 Jahren seine brummige Dicklichkeit verloren hat. Er hat sich zum exaltierten Kavalier gemausert, der jubelnd seinem Hofstab die Grenzen zeigt und gerne die ihm zulächelnden Damen umgarnt. Mittlerweile hat die Gruppe eine Fanschar rüstiger Damen: Eine Besucher hat schon 23 Vorstellungen gesehen, eine andere knapp 20. Und beide werden bis zum Oktober regelmäßig wiederkommen, wie sie van Bracht strahlend versichern.

Dieser Monarch kennt keine Berührungsängste. Wenn er mit Blumenhut zur Akrobatik-Nummer bittet, sind die Gäste folgsam und erwartungsfroh. „Huldigung, Applaus“, fordert der Fürst Tribut – und das Volk gehorcht gern, ebenso sein Gefolge von bis zu elf Personen. Die Schauspieler unter den Höflingen grimassieren und lassen keinen Zweifel daran, dass die barocke Attitüde ein ironisches Spiel ist. Und die Artisten demonstrieren – ganz in der Tradition barocker Vergnügungen – zirkusreifes Können. Eine der Komtessen dreht gleich mehrere Hula-Hoop-Reifen, derweil ein Adelsfräulein Spitzentanz auf dem Seil zelebriert. Der Hofmarschall hat magische Fähigkeiten – zum Kaiserwalzer umtanzen ihn Kugeln, als hätten sie ein Eigenleben. Und die Kurfürstin seilt sich hoch am Trapez und an den Vertikalseilen, wo sie im Meerjungfrauen-Outfit die Zuschauer begeistert.

Der quirlige Hofstaat flaniert viermal in der Woche über die Landesgartenschau. „Van Brachts Barockes Panoptikum“, das sind 12 Künstler, denen Lebensgeschichten fast ebenso wundersam und verschlungen anmuten wie ihr Programm. Gilles Le Leuch stammt aus der Bretagne. Eines Tages hörte er, dass der Zirkus Krone in München auf der Suche nach einem Kraftfahrer sei. Er bewarb sich und fand nicht nur einen Job, sondern in einer Tänzerin auch seine spätere Frau. Leider waren – ganz profan – die Arbeitszeiten des Liebespaares total unterschiedlich. So fragte der Franzose, vom Flair des Zirkus begeistert und nicht länger willens, nur Requisiten zu fahren, bei einem Berlinbesuch in einem Ausstattungsgeschäft den freundlichen und theaterbegeisterten Besitzer nach Artistenschulen. Die prompte Antwort: „Wenn ihr rausgeht links, zweiter Hof, zweite Etage.“ So kamen Gilles und Caroline Schroeck – sie ist die Kurfürstin an Seil und Trapez – damals in die Artistenschule „Die Etage“ an der Kreuzberger Hasenheide.

Hier, wo seit nunmehr dreißig Jahren Akrobaten, Schauspieler, Tänzer und Pantomimen ausgebildet werden, haben viele Mitglieder des van Bracht’schen Ensembles gelernt: der Musiker und Pantomime Klaus Franz, der Jongleur Henrik Lüderwaldt oder die Luftartistin Chris Ritter. Und auch der Gründer selbst, dessen Vita natürlich ebenfalls nicht gradlinig verlief. In seinem ersten Leben war Martin van Bracht Koch. Aber weil er schon immer zur Bühne wollte, fand er Zugang zur boomenden Berliner Varietészene. Lange trat er mit dem Zirkus Gosh auf, eine Truppe, die ganz sicher radikaler war als sein Oranienburger Panoptikum. Aber auch ein Martin van Bracht ist ruhiger und vielleicht ein klein wenig großstadtmüde geworden. So zog es ihn vor Jahren nach Putbus auf Rügen, wo er den Park der Weißen Stadt mit seinem Spiel belebte und jetzt nach Oranienburg, wo er und seine Freunde an gleich hundert Tagen weiß gewandet durch den Park ziehen. Beim Publikum sind sie die unbestrittenen Stars auf dem Gelände – weil sie hineinpassen in das Areal, weil es einfach bezaubernd aussieht, wenn sie in ihren Kostümen unter Bäumen spielen – und sicher auch, weil sich die Ensemblemitglieder wohlfühlen in dieser barocken Welt, die sie inszenieren – und niemals wirklich ernst nehmen. Martin van Bracht zum Konzept: „Üppiger Pathos, prachtvolle Übertreibung und übersteigerte Oberflächlichkeit waren für die Barockgesellschaft von großer Bedeutung. Man liebte die schönen Künsten, gesellschaftliches Ansehen und das Nichtstun.“ Er dreht eine kurze Runde auf seinem natürlich weißen Fahrrad, schwenkt den blumengeschmückten Hut und kommt dann zurück an den Tisch, wo die Truppe täglich ein kleines Fest zelebriert. „In unserem Spiel stehen die ironische Stilisierung der Barockkultur und ihre Neigung zum Mehrdeutigen im Vordergrund. Wir wollen keineswegs ein naturgetreues Portrait des Barock zeigen. In Anlehnung an das Traummotiv der Landesgartenschau durchbrechen wir bewusst die starren Regeln der Epoche und die Logik des Realen und verfremden sie durch moderne Elemente und zirzensische Ausdrucksformen.“

Jeder Besucher merkt dem Panoptikum die Spielfreunde an, die trotz häufiger Auftritte nicht in Routine erstarrt. Unser Spiel wird natürlich immer besser, so Klaus Franz, weil die Gruppe vom Publikum mehr als freundlich angenommen wird. Die Frische hängt aber auch damit zusammen, dass es den Schauspielern gelingt, Erwartungshorizonte aufzubrechen. Viele Besucher erwarten einfach keine solch quirlige und leicht exzentrische Truppe zwischen Wechselpflanzungen und Staudenbeeten. Der Kurfürst nimmt die Überraschung und Zustimmung jedenfalls huldvoll zur Kenntnis.

 Tageszeitung

Dieser Bericht erschien im August 2009 in einer Sonderbeilage der Berliner Zeitung.