logo

 Profil 
 Kontakt 

 Leseproben

 Reise 
 Geschichte 
 Kultur 
 1. 50 Jahre Staatsoper 
 2. Rheinsberg  
 3. Fante 
 4. Woolrich 
 5. Staatskapelle Berlin 
 6. van Bracht 
 7. Hans Fallada 
 8. Thelonious Monk 
 9. Die Gärten von Zürich 
 10. Südfrankreich 
 Corporate 

 

 Artikel

Grosse Oper

Staatsoper Unter den Linden

Die Begleitmusik zur Eröffnung der neuen Staatsoper ist ziemlich schrill. Zuerst tritt der designierte Generalmusikdirektor Erich Kleiber sein Amt nicht an, weil er fürchtet, der sozialistische Staat werde seine „bisher völlig unbeeinflusste Kunstausübung“ beeinträchtigen. Dann meutert das Ensemble gegen den neuen Chefregisseur Erich Alexander Winds und Intendant Max Burghardt muss die „Meistersinger von Nürnberg“, mit der das neue Haus unter dem Dirigat von Franz Konwitschny eröffnet wird, selbst zu einem guten Ende bringen. Und wenig später scheint sich Kleibers Befürchtung zu bestätigen, als das „Neue Deutschland“ gegen die Premiere von „Wozzeck“ opponiert, dem vor dreißig Jahren an der Staatsoper uraufgeführten Werk Alban Bergs über den armen Soldaten, der zum Mörder wird aus Verzweiflung und Not.

Die Forderung des Parteiorgans nach Hilfe der Kunst beim sozialistischen Aufbau kann „Wozzeck“, der an der „erbärmlichen Wirklichkeit“ scheitert, sicher nicht erfüllen. Aber gerade mit diesem schwierigen Werk feiert das Haus drei Monate nach der Wiedereröffnung einen Triumph. Dabei weiß der Intendant durchaus, dass die musikalische Sprache eine Herausforderung ist. Vorsichtig bittet er im Programmheft, „die Oper ohne Vorurteil in ihrer musikalischen, inhaltlichen und szenischen Gesamtheit auf sich wirken zu lassen.“ Der Erfolg der Inszenierung liegt vor allem in ihrer künstlerischen Bedeutung. Die Staatsoper hat eine „kleine Unabhängigkeit“ bewiesen, ein schwieriges Stück durchgesetzt und inszenatorisch einen deutlichen Akzent auf das individuelle Schicksal des armen Mannes und nicht auf die Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse gelegt.

Auch der Komponist Paul Dessau glaubt an eine modernere Tonsprache, die für ihn mehr als ein musikalisches Programm ist: „Die Spannungsmomente, wie ich die Dissonanzen einmal nennen möchte, (sind) nichts anderes als Widersprüche, ohne die es in der Musik, in keiner Kunst, also im Leben überhaupt nun einmal nicht geht.“ Sein „Lukullus“ wurde schon 1951 in der Staatsoper uraufgeführt, verschwindet aber im Rahmen der Debatte um die „richtige Auffassung über die Kunst im Sozialismus“ von den Spielplänen, weil er kein Beitrag „zur Hebung der Volkskultur“ ist. Erst 1960 setzt sich das Werk in der Inszenierung von Dessaus Frau Ruth Berghaus durch. Wie schwer es eine neue Oper bis heute hat, zeigt, dass der „Lukullus“ als einzige aller nach 1945 an der Staatsoper uraufgeführten Opern ins Repertoire aufgenommen wird.

Hans Pischner, der das Haus 1963 übernimmt und 21 Jahre leiten wird, ermöglicht auch die Uraufführung von Dessaus zweiter Oper, dem „Puntila“. Pischner sucht seinen eigenen Weg des Musiktheaters, geht an die Oper „vielleicht mehr als Felsenstein, vor allem von der Musik heran“, wie er in seiner Biografie schreibt. Großes Aufsehen erregt die von ihm initiierte erste italienischsprachige Inszenierung am Haus nach dem Krieg: Mozarts „Cosi van Tutte“ mit der Italienerin Celestina Casapietra und Peter Schreier. Pischner steht während seiner ganzen Amtszeit zur schwierigen Ruth Berghaus. Sie verantwortet eine der erfolgreichsten Inszenierungen der letzten fünfzig Jahre: den „Barbier von Sevilla“, der seit 1968 bis heute fast ununterbrochen auf dem Spielplan steht. Das Stoffbühnenbild des Malers Achim Freyer mit den Silhouetten von Stadt und Wohnung der schönen Rosina bezaubert noch immer. Das Spiel der Protagonisten wirkt natürlich, das Bühnenbild könnte binnen einer Stunde auf jedem Markt aufgebaut werden und die Musik von Rossini mit ihren Gassenhauern tut ein übrigens.

Häufiger aber ist die Arbeit der Berghaus Anlass zu Kontroversen. Über ihre „Elektra“ von 1967 schreibt Pischner: „Es gab kein opulentes Bühnenbild, sondern nur ein mit Blut beflecktes Holzgerüst.“ Die Inszenierung übersteht gerade sechs Vorstellungen. Noch schlimmer ergeht es ihrem „Rheingold“, das nach zwei Aufführungen in der Flut des Vergessens untergeht.

An einer Staatsoper, die das Haus in DDR-Zeiten und anders als heute ist, finden deutsche Komponisten, Mozart, Weber, Wagner und Strauss, natürlich besondere Beachtung. Strauss umso mehr, das er seit 1908 als GMD dem Haus eng verbunden ist. Der Regisseur Erhard Fischer und sein Ausstatter Wilfried Werz legen mit ihrer „Ariadne auf Naxos“ 1964 einen Riesenerfolg hin. Die verspielte Aufführung bleibt bis in die 1990er Jahre auf dem Spielplan. Das Team macht sich in fast dreißig Jahren auch um viele Stücke jenseits des gängigen Repertoires verdient. So erarbeiten die beiden viele Werke osteuropäischer Künstler. Zu ihnen gehört auch „Die Nase“ von Schostakowitsch, die seit Jahrzehnten in der stalinistischen Versenkung verschwunden ist und zum Zeitpunkt der Inszenierung noch immer auf dem Index steht – Anlass für Sorgenfalten auf der Stirn diverser Kulturpolitiker und wieder ein kleiner Triumph für die um Unabhängigkeit bemühte Staatsoper.

Aber bei weitem nicht alle Inszenierungen sind schwergängig. Höchst erfolgreich ist das Ensemblemitglied Theo Adam mit Mozarts „Hochzeit des Figaro“. Unter dem Dirigat von Otmar Suitner, der das Orchester ein Vierteljahrhundert als GMD leiten wird, beschwört Adam eine heitere Rokokowelt, in der Anna Tomowa-Sintow debütiert und Siegfried Vogel den Figaro singt. Das Publikum ist überaus angetan: Bis 1992 wird das Stück 160 Mal über die Bühne der Staatsoper gehen. Die „Ehe“ von Suitner und Pischner, wie der Intendant einmal sagt, ist enorm fruchtbar. In zwei Jahrzehnten bieten sie ihrem Publikum mehr als tausend Konzerte und über hundert Uraufführungen.

Auf Pischner folgt 1984 der frühere Dramaturg Günter Rimkus. Er leitet das Ensemble, als die Staatsoper bis 1986 komplett saniert wird und erlebt zur Wiedereröffnung mit Webers „Euryanthe“, wie Erich Honecker zum ersten und einzigen Mal die Oper besucht. Am Ende seiner Intendanz kann er eine der entscheidenden Weichen für die nächsten 15 Jahre stellen: Daniel Barenboim fragt bei ihm an, ob der Staatsopernchor bei einer Parsifal-Einspielung singen könne – es folgt eine erste Zusammenarbeit mit dem heute bekannten Resultat.

In fünfzig Jahren stehen der Staatsoper nur fünf Intendanten vor: Max Burghardt, Hans Pischner, Günter Rimkus, Georg Quander und heute Peter Mussbach. Generalmusikdirektoren gibt es sogar nur drei: Franz Konwitschny, Otto Suitner und Daniel Barenboim: viel Zeit für die Profilierung und die Arbeit an ehrgeizigen und langfristigen Projekten – was gerade die jüngere Geschichte zeigt. Nach dem Fall der Mauer entwickeln Georg Quander als Intendant und Daniel Barenboim als Generalmusikdirektor neue Facetten im Profil des Hauses. Quander ist Liebhaber barocker Musik und verschreibt sich in den „Tagen der Alten Musik“ (heute: Cadenza) u.a. der Ausgrabung vergessener Werke des vorklassischen Repertoires. 1992 steht, auf historischen Instrumenten von René Jacobs erarbeitet und dirigiert, eine Neuinterpretation der „Cleopatra e Cesare“ von Carl Heinrich Graun auf dem Spielpan, mit dem das Haus vor 250 Jahren eröffnet worden ist. Ein Publikumsliebling wird „L´ Opera Seria“ von Florian Leopold Gassmann, eine sprühende Satire auf den Theaterbetrieb, in der zickige Diva, eitler Tenor und gieriger Impressario auf der Bühne das wirkliche Leben hinter der Bühne zeigen. Der Erfolg inspiriert zur Aufführung weiterer Barockopern und sie alle finden ihr Publikum, so Telemanns „Orpheus“, Cavallis „Calisto“, Händels „Semele“, später Jacobs´ Monteverdi-Zyklus.

Daniel Barenboim setzt sich zum Ziel, erstmalig alle zehn Wagner-Opern an einem Haus auf die Bühne zu bringen. Während seiner Jahre an der Lindenoper kann er gemeinsam mit Harry Kupfer als Regisseur dieses riesige Projekt verwirklichen und installiert gemeinsam mit Georg Quander die heute nicht mehr wegzudenkenden „Festtage“ als einen jährlichen Höhepunkt. Bis 1996 schmieden Regisseur und Dirigent den „Ring des Nibelungen“. Auf der Bühne stehen u.a. Ensemblemitglieder wie Deborah Polaski, Uta Priew, Falk Struckmann und René Pape, Gäste wie Siegfried Jerusalem und Waltraut Meier. 2002 stemmen Dirigent und Orchester erstmalig alle zehn Werke Wagners binnen vierzehn Tagen – eine herkulische Leistung auf und hinter der Bühne. Auch die intensive Arbeit mit der Staatskapelle zahlt sich aus. Schnell erarbeitet sich das Orchester internationale Reputation. 1994 reist es zum ersten Mal mit Barenboim nach Paris, 1997 nach Tokio, seitdem spielt es regelmäßig in London, Madrid, Wien, New York. 2004 wird es dann von der Kritik zum Orchester des Jahres gewählt.

Wozzeck kehrt 1993 zum vierten Mal auf die Bühne der Staatsoper zurück, diesmal in der epochalen Inszenierung von Patrick Chareau, der Franz Grundheber als Wozzeck und Waltraut Meier als Marie durch eine Bauklotzstadt irren lässt, die ebenso bunt wie kalt ist. Vier Jahre nach dem Wozzeck folgt dem armen Mann – 60 Jahre nach der Uraufführung – die von Laura Aikin gesungene „Lulu“ in der stimmigen und erfolgreichen Inszenierung des heutigen Intendanten Peter Mussbach.

Einer der großen Publikumsrenner ist und bleibt Mozart. Die im Hippie-Milieu angesiedelte „Cosi fan tutte“ Doris Dörries wird zur erfolgreichsten Inszenierung der 1990er Jahre. Das Publikum liebt ihre Interpretation, denn selten ist die doch arg unglaubwürdige Geschichte der als Liebhaber ihrer eigenen Frauen verkleideten Ehemänner glaubwürdiger inszeniert worden. Ebenso erfolgreich ist die von August Everding unter einen funkelnden Bühnenhimmel inszenierte „Zauberflöte“. Seine märchenhafte Interpretation, gesungen u.a. von Roman Trekel und Dorothea Röschmann, hat bis heute weit über hundert Aufführungen erlebt.

Zu den „Top Twenty“ der neunziger Jahre zählen neben sieben Wagner-Inszenierungen mit Daniel Barenboim die „großen Vier“ von Mozart, dreimal Verdi, je einmal Bellini und Puccini, drei Ballette und – Milhauds Christoph Kolumbus. Zurecht, denn der englische Regisseur Peter Greenaway präsentiert eine verblüffende Arbeit, eine Collage aus Filmsequenzen, Schrifttafeln und auf Leinwände projizierte Bühnenszenen, alles verbunden zu opulentem Musiktheater neuer Art.

Mit Peter Mussbach übernimmt 2001 ein erfahrener Regisseur das Haus und gewinnt das Publikum durch bildmächtige, psychologisch ausgefeilte eigene Inszenierungen. Er brilliert schon 2000 mit einem blutroten Macbeth, in der neben Kwangchul Youn auch der seitdem kometenhaft aufgestiegene Rolando Villazon als MacDuff zu hören ist; er inszeniert mit Christine Schäfer, Thomas Hampson und wieder Rolando Villazon eine „Traviata“, in der die traumatisierte Heldin im Augenblick des Todes ihr Leben Revue passieren lässt. Mussbach lässt sich auf viele Experimente ein – von denen, wie es bei Experimenten nun einmal unumgänglich ist, manche weniger glücken als andere. So können sich die Berliner für das Musiktheaterprojekt „Takemitsu –My way of Life“ nicht recht erwärmen, während es in Japan und Frankreich begeistert aufgenommen wird. Dagegen wird Sashas Waltz` Interpretation von Purcells Dido & Aeneas, die den Sängern Tänzer zur Seite stellt und neue Sequenzen einfügt, in denen Mitglieder ihrer Kompanie ganz ohne Musik tanzen, begeistert gefeiert.

Im Lauf von fünfzig Jahren sind zahllose Premieren über die Bühne gegangen, mache bejubelt, manche schon nach einer Spielzeit wieder verschwunden. Oper ist unberechenbar – fast wie das Leben, nur viel schöner in Szene gesetzt.

 

 Tageszeitung

Dieser Artikel über die herausragenden Inszenierungen in der Staatsoper Unter den Linden seit der Wiedereröffnung 1955 erschien im Herbst 2005 in einer Sonderbeilage im Berliner Tagesspiegel und der Berliner Zeitung.