Leseproben
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1. Die Holländer oder Der Tulpenwahn
Die Vergangenheit ist reich an dramatischen Geschichten über Blumen. Sie gaben blutigen Familienfehden wie den Rosenkriegen ihren Namen. Sie standen im Zentrum von Diebstählen. Sie führten Sammler in die abgelegensten Regionen der Erde. Keine Blumengeschichte ist jedoch so dramatisch wie die des holländischen Tulpenwahns.
Die Tulpe stammt aus dem Morgenland. Carlos Clusius, der Präfekt des Botanischen Gartens in Leiden, brachte sie Ende des 16. Jahrhunderts auf nicht ganz durchschaubaren Wegen und durchaus ohne Billigung des osmanischen Sultans nach Holland. In den ersten Jahren wuchsen die Blumen ohne großes Aufsehen in den Schachbrettbeeten seines ummauerten Gartens. Clusius war aber so offenkundig auf seine Tulpen bedacht, dass sie die Begehrlichkeit mancher Kollegen und Händler weckten.
Es ist nicht leicht, die damalige Verzauberung nachzuempfinden. Die Autorin Anne Pavord glaubt, ihr exotisches Flair und das Gefühl von fremder Schönheit habe die Tulpe für die puritanischen Holländer so verführerisch gemacht. Zudem war der „Tulipan“ in der Frühzeit sehr selten, eine Pflanze, deren Bestand sich nur sehr allmählich durch Brutzwiebeln aufstocken ließ. Sie war also teuer, was wiederum die kaufmännische Seite der Holländer ansprach.
Und es gab noch einen weiteren Grund, warum die Holländer, anders als die Franzosen oder Engländer, der Tulpe verfielen. Vermutlich, so der Autor Michael Pollan, liebten sie diese Blume, weil „die Niederlande eine an konventionellen Reizen und Auflockerungen arme, monotone Sumpflandschaft“ war. Fruchtbare Böden waren selten und teuer, und so gerieten holländische Gärten oft klein und wurden von einigen stolzen Besitzern sogar durch aufgestellte Spiegel optisch vergrößert. Die Tulpe brachte gewissermaßen Farbe in die Ödnis unter dem häufig tiefen Himmel.
Um 1630 versuchten berufsmäßige Blumenzüchter in allen Städten des Landes, den steigenden Bedarf an neuen Tulpenarten zu befriedigen. Schon drei Jahre später standen überall in den Niederlanden reichlich Tulpen zum Verkauf. Über 500 Arten überschwemmten den Markt. Weil die Züchter für ihre zahlungskräftigsten Kunden ständig neue Variationen entwickeln mussten, brachten sie die weniger spektakulären Pflanzen zu niedrigeren Preisen unters Volk. So geriet ein stetig wachsender Teil der Bevölkerung an den verlockenden Handel mit Tulpenzwiebeln. Die Aussicht, das niedrige Einkommen durch die Anpflanzung von Zwiebeln und deren Verkauf aufzubessern, machte viele Bauern zu Gärtnern. Wer früher Gemüse zog, baute jetzt Tulpen an.
Als die Nachfrage nach Tulpen und damit die Preise immer weiter stiegen, profilierte sich eine neue Händlerschicht, die Floristen, die nicht mehr mühsam ihre Gärten beackerten, sondern allein vom Verkauf der Tulpenzwiebeln lebten. Ihre Investitionen warfen enormen Profit ab, sodass die Zahl der Nachahmer weiter wuchs. Ärzte investierten ihr Vermögen in unscheinbare Blumenzwiebeln, honorige Kaufmänner verloren das Interesse am lukrativen Handel mit den Gewürzinseln. Selbst Handwerker stiegen ins Geschäft ein: Zahlreiche Weber beliehen für frisches Kapital ihre Webstühle.
Im Sommer 1633 wechselte zum ersten Mal ein kleines Stadthaus für drei seltene Tulpen den Besitzer. Als dieses Geschäft publik wurde, ging bald darauf ein Bauernhof für ein Paket Tulpenzwiebeln an einen Händler. Im Herbst 1635 begann der so genannte Windhandel, der die folgenden Exzesse auslöste. Urheber waren die Floristen. Ihnen waren die Tulpen im Grunde gleich. Sie hatten weder den Wunsch noch die Fähigkeit, selber Blumen zu ziehen und sahen in ihnen nur eine Quelle enormen Gewinns. Gegenstand ihres Geschäfts war jetzt ein übertragbares Papier mit einem Lieferdatum für die Zwiebeln und einer Beschreibung der späteren Blume. Die Floristen betrieben ein rein spekulatives Geschäft, ein Blumen-Roulette.
Die Preise der seltenen Sorten stiegen weiter. Der Preis beliebter Zwiebeln verdoppelte oder verdreifachte sich manchmal innerhalb einer Woche. Den Höhepunkt erreichte der Tulpenrausch zwischen Dezember 1636 und Februar 1637. In diesem Winter zahlte ein Käufer für eine seltene Zwiebel 4600 Gulden, einen Wagen und zwei Stuten mit Zaumzeug und Geschirr. Eine Zwiebel namens „Vizekönig“ wechselte für 24 Wagenladungen Korn, acht Mastschweine, vier Kühe, vier Fässer Bier, 1000 Pfund Butter und einige Tonnen Käse den Besitzer. Den höchsten Preis für eine einzelne Zwiebel erzielte die „Semper Augustus“, die im Januar 1637 über 10000 Gulden einbrachte, was vierzig Jahresgehältern eines Zimmermannes entsprach. Und dann tauschte ein Brauereibesitzer drei seltene Zwiebeln gegen seine Brauerei in Utrecht ein. Der Wert von 30000 Niederländischen Gulden überstieg Rembrandts Honorar für sein Meisterwerk Die Nachtwache um fast das Zwanzigfache.
Anfang Februar 1637 platzte die Spekulationsblase. Die ersten Warnsignale kamen aus Haarlem, wo der Magistrat den Menschen empfahl, mit dem Kaufen aufzuhören. Zwei Tage später fielen die Preise mit jeder Stunde. Die Androhung der Magistrate, gegen den nicht mehr zu kontrollierenden Handel einzuschreiten, der Vertrauensverlust vieler Käufer in ihre fragwürdigen Papiere und immer höhere Preise für immer schlichtere Zwiebeln – das war zuviel. Wie Schlafwandler erwachten viele Holländer aus einem bösen Traum, in den sie ihre Gier gezogen hatte. Eine Tulpe, die eben noch 5000 Gulden einbrachte, kostete wenig später gerade einmal bescheidene 10 Gulden.
Der Spuk war vorbei.
2. Frederick Sander oder Der Orchideenkönig
Auf dem Bloemenmarkt an der Amsterdamer Singel Gracht verkaufen die Händler im Herbst zahllose Orchideen wie Cattleyen oder Vandeen. Sie stellen prachtvolle Exemplare aus, die sich über Luftwurzeln ernähren oder dreißig, vierzig, sogar fünfzig Blütenrispen besitzen. Orchideen sind, wie viele andere Blumen auch, zur Massenware geworden.
Das war nicht immer so. Im 19. Jahrhundert durchstreiften viele Männer im Auftrag von Orchideenhändlern die Gebirgswelt Südamerikas, die Inselwelt Südostasiens und die Regenwälder Afrikas. Viele von ihnen bezahlten ihre Jagd mit dem Leben. „Arnold ist im Orinoko ertrunken, Schröder stürzt in Sierra Leone in den Tod. Falkenberg bleibt in Panama verschwunden, Klaboch wird in Mexiko ermordet, Braun in Madagaskar, und Endres traf eine Kugel im kolumbianischen Rio Hacha“, schreiben Kej Hielscher und Renate Hücking in ihrem Buch Pflanzenjäger. Einer, der die Torturen der Reisen und die immer wiederkehrenden Enttäuschungen überlebte, war Wilhelm Micholitz. Er durchkämmte im Auftrag des Orchideenkönigs Frederik Sander dreißig Jahre lang die Länder Asiens nach Orchideen.
Frederik Sander wurde 1847 in Bremen geboren. Er lernte das Gärtnerhandwerk und schlug sich nach England durch, wo er zuerst bei London, dann in Kent Arbeit fand. Seine Frau brachte eine ansehnliche Mitgift in die Ehe ein, die Sander in eine Samenhandlung investierte. 1878 baute er mehrere Gewächshäuser – und verfiel dem Zauber der tropischen Orchideen. Seine Leidenschaft brachte ihn in Kontakt mit dem englischen Adel, unter dem das Orchideenfieber geradezu epidemisch grassierte. Fürsten und Landadelige, aber auch Bankiers und Industrielle wetteiferten um die Aufzucht der prachtvollsten Exemplare. Ihr Orchideenwahn trieb die Preise in die Höhe. Manche Pflanze brachte bis zu 700 Pfund ein. Das entsprach mehreren Jahresgehältern eines kleinen Angestellten. Ein Journalist schrieb: „Die Pflanze wurde eigens dazu geschaffen, die auserwählten Menschen unseres Zeitalters zu erfreuen.“ Der Samenhändler Sander erkannte seine Chance, spezialisierte sich auf den Import, die Züchtung und den Verkauf von Orchideen und stieg binnen weniger Jahre zum weltweit größten Orchideenhändler auf.
Die Vielfalt seines Sortiments, darunter zahlreiche Raritäten und Neuentdeckungen, verdankte er seinen Mitarbeitern. Einer von ihnen war Micholitz. Sein „Jagdgebiet“ lag in den Monsunregionen Südostasiens. Von seinem Hauptquartier in Singapur aus pendelte er zwischen den Ländern am Äquator und Assam am Himalaja hin und her. Drei Jahrzehnte quälte er sich für Sander durch die Dschungel, trotzte dem Regen und der schwülen Hitze, wohnte in „gottverdammten Löchern“, wurde von Fieberanfällen geschüttelt und schrieb seinem Auftraggeber in über tausend Briefen von den Erfolgen und Misserfolgen seiner Expeditionen.
Die Erste führte ihn auf die Philippinen. Ein Kollege namens Roebelin hatte für Sander auf Mindanao die Vanda und die Phalaenopsis entdeckt, und jetzt brauchte der Händler dringend Nachschub. Aber Roebelin war Freiberufler, verkaufte an den Meistbietenden und weigerte sich, die Standorte zu verraten. Jetzt sollte Micholitz ihn aufspüren. Dieser Konkurrenzkampf war üblich unter den Jägern. „Verrate nie den Fundort deiner Schätze“, war das oberste Gesetz des Gewerbes. Wenn es sein musste, brannte der Sammler ganze Waldstücke ab, um dem Konkurrenten auch nicht eine Orchidee zu überlassen. Freundschaftliche Verbundenheit unter den Sammlern gab es nicht. Als Micholitz nicht Roebelin, sondern einen englischen Sammler trifft, kabelt er zufrieden nach London: „Krankheit hat Boxall daran gehindert, schon viele Erkundungstouren zu machen. Ich habe viel mehr Phalaenopsis gefunden als er.“ Der Wettkampf um neue Arten war gnadenlos. „Einige philippinische Inseln werden völlig geplündert, riesige Orchideensendungen verlassen das Land“, klagte ein Schweizer Botaniker.
Sander war ein knauseriger Chef. Die Bezahlung war von der ersten bis zur letzten Reise ein Streitpunkt zwischen Jäger und Verkäufer. „Ich bin bereit, mein Bestes zu tun, aber dafür brauche ich eine ständige Belieferung mit Geld“, schrieb Micholitz nach London. Sander zeigte wenig Verständnis für diese Klagen und fand kaum ein gutes Wort für seinen Einkäufer. Mal schickte Micholitz ihm zu viele, dann zu wenige oder zu schwache Pflanzen. Zufrieden war Sander nie.
Nach 32 Jahren gab Micholitz auf. Er war fast sechzig Jahre alt und „da werden die Beine doch etwas steif“. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg kehrte er nach Sachsen zurück. Er gab Englischunterricht, sammelte Pilze zum Verkauf auf dem Markt und botanische Raritäten für Museen. 1932 starb er, laut Hielscher und Hücking, „arm wie eine Kirchenmaus“.
Frederik Sander dagegen arbeitete weiter. Aber die Geschäfte gingen schlechter und schlechter. Die Preise fielen, während die Beschaffungskosten stiegen. Seine besten Kunden, die Aristokraten, wandten sich ab, als sie erkannten, dass ihre Lieblingsblume langsam zur Massenware wurde. Die Exklusivität war dahin und damit auch der Reiz. Der Erste Weltkrieg bedeutete das Ende für Sanders Geschäft: Niemand wollte in diesen Jahren seine kostbaren Pflanzen kaufen.
Das Orchideenfieber war endgültig vorbei.
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Die folgenden beiden Artikel entstanden im Rahmen der Recherche für das Jubiläumsbuch der Fleurop AG. Sie erschienen dann in verschiedenen Brandenburger Medien im Rahmen der Berichterstattung rund um die Landesgartenschau Oranienburg im Jahr 2009.