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 Reportage

Freitagnacht in Harare

Castle-Bier und Sugar Daddys

Es ist Freitagabend in Harare. Schon seit Stunden beschwört der Disc-Jockey auf „Radio Three“ die kommende Nacht: „Thank god, it's friday“. Seine Musik gibt den Rhythmus vor, der die nächsten Stunden bestimmen soll: „I wanna make you dance“. Über die Busbahnhöfe in der Innen stadt winden sich noch immer lange Menschenschlangen. Sie warten auf einen der raren Busse, um endlich heim in ihre Townships zu kommen. Die Weißen dagegen sitzen schon lange auf ihren Veranden in den suburbs, wo die Frauen sie mit einem Gin Tonic empfangen, während der boy die Einkäufe aus dem Pick-up holt. Nur die Partygänger bleiben in der fast menschenleeren City. Sie überbrücken die Zeit in den Restaurants und Hotelbars von Sheraton und Meikles, sitzen im King George und im Terreskane. Sie warten, dass endlich die Nacht beginnt.

Die Auswahl an Konzerten ist groß. Sie fangen spät an, oft gegen 22.00 Uhr, manchmal erst um Mitternacht. So wirkt der Queens Garden wie ein Magnet, denn die Shows beginnen zeitiger, die Eintrittspreise sind niedrig und selbst einheimische Stars wie Thomas Mapfumo treten schon am frühen Abend auf und spielen dann bis in den Morgen. Dabei ist der Club nicht mehr als ein Hinterhof des gleichnamigen Hotels. Er ist an drei Seiten von Mauern begrenzt, darin hat der Besitzer eine Tanzfläche betoniert, ein paar Podeste für Konzerte aufgebaut, schäbige Gartenmöbel und wacklige Tische aufgestellt. Mitten im Karree wächst ein trauriger Baum, die meisten Äste sind abgestorben, die anderen tragen nur wenige Blätter. Kaum einer der Gäste ist nüchtern. Sie sitzen tief vergraben in den Stühlen, drängen beim Reden die Gesichter aneinander wie es Betrunkene oft tun; auf den Tischen stehen Bierflaschen wie Bowlingkugeln. Wenn sie zur Bar hinübergehen, um eine Runde neues eisgekühltes Castle zu holen, sind ihre Schritte unsicher wie die von Schiffspassagieren bei Seegang; auf der Tanzfläche torkeln sie mehr, als sich im Rhythmus der Musik zu bewegen. Aber es wird weiter getrunken – in großen Zügen, konzentriert, verbissen. Der Alkohol ist nicht Teil des Vergnügens, er ist der Mittelpunkt. Die Musik der Band, die anderen Menschen, der warme Januarabend, das alles ist zweitrangig, dem eigentlichen Ziel untergeordnet, der schnellen und vollständigen Betrunkenheit. Gemeinsam wird die vergangene Woche heruntergespült und der Gedanke an die nächste in Alkohol ertränkt. Es ist nicht verwunderlich, dass der Queens Garden bei vielen Afrikanern einen schlechten Ruf hat, auch wenn dort regelmäßig die populärsten Bands Zimbabwes spielen. Es wimmelt von Taschendieben, vor dem Eingang lungern Dutzende von Männern herum, die den Eintritt nicht bezahlen können, Prostituierte warten auf Freier, auf dem Gehsteig liegen die Scherben zersplitterter Flaschen, es riecht nach Erbrochenem und Urin. Dennoch: Es ist ein freundlicher Platz, denn wenn neue Gäste kommen und ihre Freunde begrüßen, geht ein Kreischen durch die Reihen wie in einem Popkonzert und vor der Tür, wo die Schlange immer länger wird, steigt Lachen hoch in den Himmel, auf dem Milliarden Sterne zu der Musik von Thomas Mapfumo tanzen.

Im „feinen“ Harare“ in der City liegt der Playboy. Ilanga spielen. Der Eintrittspreis beträgt zehn Dollar, viel in einem Land, in dem Hausangestellte etwa 120 und Lehrer 700 Dollar monatlich verdienen. Schon nach den ersten zehn Takten des Gitarristen hält es kaum jemanden auf seinem Platz. Pfiffe, Triller, Anfeuerungsrufe, begeistertes Händeklatschen. Frauen ziehen ihre Männer auf die Tanzfläche; Paare erwarten den ersten Song. Je besser die Musik, desto großartiger die Stimmung, je begeisterter das Publikum, desto mehr Spielfreude auf der Bühne, ein Sog, der fast alle Besucher auf die Tanzfläche zieht. Es ist leicht, einen Tanzpartner zu finden, ebenso leicht, ins Gespräch zu kommen. Da ist der Barkeeper, der Präsident Robert Mugabe bedauert, weil er keine Söhne hat: „Er hat so viel erreicht und wenn er stirbt, wird alles umsonst gewesen sein.“ Sinnlos, ihm zu erklären, dass die Politik heute anderen Gesetzen folgt. Da ist die erregte Diskussion über den Zwischenfall beim Pokalendspiel, als die Heimmannschaft durch ein Zaubermittel um den Sieg gebracht werden sollte und einige Spieler als Gegenmittel auf das Spielfeld urinierten, was wiederum den Fußballverband veranlasste, sie lebenslang zu sperren. Und da ist die Frau mit den Rasta-Locken und dem breiten Grinsen, die von dem Geist ihres Großvaters erzählt, der in dem Hund lebt, der ihr vor einigen Wochen zugelaufen ist.

Nur wenige Schritte vom Playboy entfernt hat das Sandros eröffnet. Ein schweres Gitter vor dem Eingang, ein safety guard, der dort die ganze Nacht stehen wird, auch wenn der Club schon lange geschlossen hat. Er ist einer der vielen hundert Wachmänner, auf die Nachtschwärmer überall in der Stadt treffen. Sie sind vor Banken und Versicherungen postiert, patrouillieren auf Parkplätzen und vor Supermärkten, sechs lange Nächte in der Woche, von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang. Sie sind die Schatten der Häuser, freundlich und geduldig schützen sie das Eigentum derer, die es zu etwas gebracht haben gegen die Sehnsüchte derer, die nicht besser gestellt sind als zu der Zeit, da das Land noch Rhodesien hieß. Das Sandros ist ein Club der Erfolgreichen. Weiße Zimbabwer, europäische Experten und afrikanische Journalisten nehmen hier ihre Drinks nach Feierabend, essen und tanzen mit den hübschen schwarzen Frauen zu den Hits von Gestern. Sarah ist Stammgast. Sie arbeitet in einem Büro, aber sie ist die einzige in ihrer Familie mit einem festen Job. Also unterstützt sie zwei ihrer Brüder, trägt für einen Neffen zum Schulgeld bei und lässt ihrer Mutter, die auf dem Land lebt, jede Woche ein Lebensmittelpaket zukommen. Der Club hilft ihr, diese Verpflichtungen zu tragen: weil sie hier lachen und tanzen kann und weil sie ein wenig Geld dazu verdient: aber nur, wenn ihr der Mann gefällt – oder sie die finanzielle Misere zu sehr drückt.

Nicht weit entfernt wartet das Archipelago auf Gäste. Der Eintritt kostet 15 Dollar und ohne gepflegte Kleidung geht gar nichts. Keine Chance, in Jeans und T-Shirt am Türsteher vorbeizukommen. In keinem Club trifft man auf so viele gemischte Paare wie hier, weit mehr als im täglichen Straßenbild. Dort gibt es wenig Kontakt zwischen Schwarz und Weiß. Man arbeitet im gleichen Büro, sitzt zusammen im Restaurant, geht in die gleichen Kinos. Man wohnt nebeneinander und erledigt die Einkäufe im gleichen Supermarkt. Aber das private Leben teilt man nicht. Hier im Club dagegen scheint es keine Vorbehalte und keine kulturellen Schranken zu geben. Aber natürlich hat die Sympathie ihren Preis. Wie es Dambudzo Marechera, der Schriftsteller, in seinem Tagebuch schrieb: „Erwartungen waren geschmacklos materialisiert, hatten weniger mit dem Geist als vielmehr mit dem Preis der An gelegenheit zu tun.“ Die Männer im Archipelago sind zwischen dreißig und fünfzig Jahre alt. Es sind europäische Experten, Kaufleute, Lehrer, es sind Bankan gestellte, Administratoren und Techniker. Robert ist einer der Experten. Er hat in Angola gearbeitet, in Mozambique, jetzt lebt er in Zimbabwe. Er ist dick, verschwitzt, gedrungen, glatzköpfig und begehrt. Zuhause in Sheffield würde ihn keine Frau beachten. Hier ist er ein König, gekrönt von den jungen Frauen, die seine weiße Haut lieben und noch mehr sein Portemonnaie. Er sieht die Sache realistisch: „I'm an old bastard. But I can get any chick that I want.“ So heißen sie hier, die Frauen der Nacht: Chicks – Hühner.

Sie selbst nennen die Männer Sugar Daddys. Es gibt sie in jedem Club. Sie fahren ein Auto, bezahlen Getränke, laden zum Essen ein und zeigen sich für jede Freundlichkeit erkenntlich. Man verbringt einen Abend im Club, kommt ins Gespräch, tanzt miteinander. Die Frau ist aufgeschlossen, also spendiert der Mann einige Drinks. Am Morgen zahlt der Mann ihr das Taxi und gibt großzügig einige Scheine mehr als nötig. Nettigkeiten gegen Geschenke, das ist ein schwieriges Geschäft. Die Frauen sind der Behördenwillkür ausgeliefert. Monatelang sind sie geduldet, dann wieder, wenn ein großer Kongress stattfindet und viele Ausländer in Harare sind, werden sie von der Straße weg verhaftet.

Jetzt hat sich eine sehr junge schlanke Frau zu Robert gesetzt. Sie trägt ein kurzes weißes Kleid mit schmalen Trägern und einem tief ausgeschnittenen Rücken. Ihr Haar hat sie hochgesteckt und wenn sie lächelt, strahlen ihre Zähne. Sie und Robert schauen sich in die Augen und lächeln einander zu. Er fragt, ob sie einen Drink mit ihm nehmen will. Es wird eine lange Nacht werden hier in Harare.

 

 Buch

zimbabwe

Diese Reportage über das Nachtleben in Zimbabwes Hauptstadt Harare erschien in einem Sammelband des Übersee-Museums in Bremen.