Diesen Artikel schrieb ich vor einigen Jahren für eine Museumsbeilage im Berliner Tagesspiegel, ein schöner Auftrag, für den ich, immer im Herbst, diverse neue Ausstellungen besuchen durfte.

 

 

GESCHICHTE ANASSEN

Die spielerische Aneignung von Informationen im DDR-Museum

 

Die Zeit rast. Seit dem Zusammenbruch der DDR ist schon mehr als ein Vierteljahrhundert vergangen. Eine ganze Generation kennt diesen Staat nur noch aus Bildern und Erzählungen. Gerade deswegen ist das Interesse groß. Viele junge Menschen sind in dem Museum unterwegs und dem babylonischen Sprachgewirr nach zu urteilen kommen sie aus aller Herren Länder.

Die Kuratoren der ständigen Ausstellung waren sich bewusst, dass diese neue Generation von Museumsbesuchern einen neuen Zugang zur Geschichte erwartet. Dementsprechend ist die Präsentation prägnant, abwechslungsreich, technisch sehr modern und im wahrsten Sinne des Wortes zum anfassen.

 

Die zweisprachigen Einführungstexte zu jedem Kapitel – Deutsch und Englisch – sind kurz und eindeutig: „Am 13. August 1961 zog die DDR-Regierung eine Mauer um West-Berlin und sperrte die DDR-Bürger damit endgültig ein.“ Hier geht es nicht um Nostalgie, sondern um die raue Realität in einem in vieler Hinsicht repressivem Land. Andererseits werden manche Vorzüge nicht verschwiegen. 799 Krippenplätze für 1000 Kinder kurz vor der Wende sind einfach beeindruckend.

 

Im Zentrum der Museumsarchitektur stehen Mauern – ein Sinnbild für die DDR nicht nur im tatsächlichen Sinn. Denn Mauern und damit Grenzen gab auch für die Möglichkeit persönlicher Entfaltung, für die Presse, für den Konsum. 16 Jahre auf einen Trabant zu warten ist eine lange Zeit und einen Farbfernseher zum Preis von 4900 Mark ist bei einem  Monatsverdienst von 1400 Mark ein sehr langfristiges Projekt. Jede der Mauern ist einem Thema gewidmet: Arbeit, Urlaub, Alltag, Politik und Wohnen, um nur einige Beispiele zu nennen. In diese Mauern integriert sind kleine Räume mit Fotoreihen, Erinnerungsstücken oder kurzen Filmen, mit Informationen und Exponaten. Die Neugierde der Besucher wird angestachelt und durch die Ausstellungsstücke und pointierte Texttafeln befriedigt. Neben dem kleinen Kiosk mit DDR-Zeitungen steht lapidar: „39 Zeitungen, 2 TV, 4 Radiosender – und nur eine Meinung.“

 

Eine zentrale Erfahrung im Museum ist die Geschichte zum Anfassen. Junge Engländer hocken staunend im Trabbi und machen sich mit der für heutige Verhältnisse ziemlich archaischen Schaltung vertraut. Zwei junge Frauen öffnen den Kleiderschrank mit den Röcken und Blusen aus Textilfasern, was wahrlich keine angenehme haptische Erfahrung ist. Eine Familie sitzt in dem stilsicher nachgestalteten Wohnzimmer und hört sich im Fernsehen eine Rede von Erich Honecker an. Eine ganze Traube von Jugendlichen steht um einen digitalen Tisch, auf dem sie Exponate verschieben und dann konzentriert die auftauchenden Texttafeln lesen. Im ganzen Museum wird befühlt, gekurbelt, getastet, gehört und gewischt – es gibt wirklich viele spielerische Möglichkeiten zur Aneignung von Informationen.

 

Natürlich präsentiert das Museum auch Kuriositäten. In der Produktwelt haben sich Rotkäppchen-Sekt und Köstritzer Bier bis heute behauptet. Aber es ist vermutlich nicht schade um das Verschwinden von Polar Deo-Spray und die Juwel-Filterzigaretten in der schmucklosen Pappschachtel. Der vermutlich größte Taschenrechner der Welt mit seinem daumengroßen Tasten dagegen wäre heute vielleicht schon wieder ein Renner. Die sinnliche Erfahrung endet übrigens nicht am Ausgang des DDR-Museums. Gleich nebenan lädt das DDR-Restaurant zu Soljanka und Broiler ein. Es ist vielleicht keine Überraschung, dass alle Tische besetzt sind.

 

 

 

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