Eines der schönsten Länder für einen passionierten Wanderer wie mich ist Norwegen. Auf dem Weg über die größte Hochebene Europas, auf der es – ganz und gar großartig – keine einzige befahrbare Straße gibt, sammelte ich Eindrücke für diesen Bericht in der Berliner Zeitung.

 

 

EINE WUNDERBARE EINSAMKEIT

Wandern auf Europas größter Hochebene

 

Diese Wanderung ist anstrengend. Sie ist lang. Sie ist sonnig an einem Tag und am anderen verregnet vom Morgen bis zum Abend. Die Unterkünfte bieten weder fließend Wasser noch Strom. Mit einem Satz: sie ist großartig. Wer noch nie gewandert ist, wird an jedem Abend rechtschaffen müde sein. Und wer schon einige Touren hinter sich hat, wird diesen Weg ganz sicher als enorm beeindruckend in Erinnerung behalten.

 

Aber genug der Lobeshymne. Zu den Fakten. Die Hardangervidda liegt in Südnorwegen, drei Auto- und Busstunden nordwestlich von Oslo. Sie ist mit etwa 8.000 qkm die größte Hochebene Europas, von der die Hälfte als Nationalpark geschützt ist. Das Plateau liegt zwischen 1.200 m und 1.400 m hoch und wird nicht von einer einzigen Straße durchkreuzt. Die wenigen privaten Häuser werden im Winter von Schneefahrzeugen und im Sommer von Helikoptern mit Nahrung und Brennstoff versorgt. Daneben gibt es 35 Wanderhütten und 1.200 km sehr gut markierter Wanderwege. Einige dieser schlichten Hütten liegen gerade einmal vier Stunden Gehzeit auseinander, manche aber auch acht Stunden und immer – wirklich immer – stehen sie an grandiosen Plätzen: auf Hügeln mit Blick in die Unendlichkeit und an weiß tosenden Wasserfällen, an spiegelnden Seen und mäandernden Flussläufen.

 

Die wohl beliebteste Route auf der Hardangervidda führt über 80 km von Süden nach Norden und ist in fünf Tagen gut zu laufen. Ausgangspunkt ist das Wanderheim in Haukaliseter, gelegen auf halbem Weg zwischen Oslo und Bergen. Hier gibt es noch einmal elektrischen Strom, kleine Zimmer mit Etagenbetten, Duschen und volle Verpflegung.

 

Der lange Weg beginnt mit einem ersten schweißtreibenden Anstieg den Hügel hoch. Dann ein paar Schritte und schon wartet der nächste Anstieg. Die Belohnung für die Mühen sind spektakuläre Ausblicke auf Bergklippen, Schneezungen selbst im Sommer, auf Wasserfälle, Täler und Blumenwiesen. Jede Stunde bringt neue Eindrücke. Wasser strömt nach einem nächtlichen Regen von den Felsen. Fische springen in den Seen und die Berggrate stehen ganz klar und scharf konturiert vorm blauen Himmel. Auf jeder Etappe ändert sich stündlich das Gesicht der Landschaft. Einmal geht man durch ein Tal voller Blumen, dann über nackte Felsen, anschließend hoch auf einen Bergrücken mit einer grandiosen Sicht auf die baumlose Ebene und die zahlreichen Bergseen. Angenehmer Begleiteffekt des Höhenwanderns: Selbst in dieser nassen, moorigen Region gibt es keine Mücken, die einem in Skandinavien wirklich den Tag verderben können.

 

Wirklich etwas Besonderes auf der Hardangervidda ist das Angebot des Norwegischen Hüttenvereins. In allen Unterkünften ist jedem Wanderer eine Übernachtung garantiert. Im obligatorischen gemütlichen Aufenthaltsraum gibt es zudem einen Vorratsschrank, aus dem man sich mit Dosensuppen, Nudeln, Reis, Kaffee oder Tee bedienen kann. Abgerechnet wird nach Verbrauch. Man steckt das Geld in einen Umschlag oder füllt einen Überweisungsträger aus, über den später der Betrag abgebucht wird. Die Preise sind – für norwegische Verhältnisse – akzeptabel: 25 Euro pro Nacht und Person. Dieses Wandern von Hütte zu Hütte hat einen weiteren Vorteil: Niemand muss für mehrere Tage Proviant mitschleppen und Wasser, das man bedenkenlos trinken kann, gibt es im Überfluss.

 

Am Abend sitzen die Wanderer bei Tee und Kaffee um den Ofen zusammen. Es sind bunte Gesellschaften: Norwegische Ingenieure von den Bohrinseln, Botaniker und Geologen aus den skandinavischen Nachbarländern, Öko-Touristen aus Deutschland. Ein Australier, der sein Dosenbier über Dutzende Kilometer mitgeschleppt hatte, um den letzten Abend würdig zu begehen, erklärt Tasmanien ab sofort zur nur noch zweitschönsten Wanderregion der Welt. Und einer der Deutschen, der schon zum vierten Mal hier oben wandert erklärt, er sei nicht nur von der Landschaft begeistert. Er müsse seinen Gürtel jetzt schon wieder ein Loch enger ziehen. Er sei sicher, in wenigen Tagen fünf Kilo abgenommen zu haben. Für ihn ist die Hardangervidda die schönste Diät der Welt.

 

 

 

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