Dieser Artikel entstand vor Jahren für ein digitales Literaturmagazin, zugegen weiß ich nicht mehr, welches.  Ich habe ihn aktualisiert, weil John Fante leider noch immer nicht die verdiente Beachtung findet und einige der erwähnten Bücher schon nicht mehr erhältlich sind. Ich glaube trotzdem an ihn.

 

 

JOHN FANTE

„Ich wollte das Bett sein, in dem sie schlief.“

 

John Fante ist ein Nichts. Zumindest hier bei uns in Deutschland. Der Goldmann-Verlag hat sich schon vor zwei Jahrzehnten um ihn bemüht, ebenso der Eichborn-Verlag. Aber zur großen Anerkennung hat es nie gereicht für den Mann, den Charles Bukowski zu seinem Gott erklärte.

Das erste von Fantes Büchern heißt „Ich, Arturo Bandini“ und war gleich ein großer Wurf. Geschrieben vor siebzig Jahren auf einem dieser schwarzen Ungetümer mit klemmenden Buchstaben, wirkt der Roman so frisch, als habe dieses Frühjahr ein junger Mann zu den Balladen von Tom Waits seinen ersten Roman zu Papier gebracht.

 

Das Buch wurde von den Kritikern gefeiert – und fiel beim Publikum durch. Fante schrieb Kurzgeschichten für Esquire und Harper's Bazaar – die niemand als Buch herausbringen wollte. Er schrieb einen zweiten Bandini-Roman, der ebenfalls unbeachtet blieb, denn sein Verleger hatte eine kommentierte Ausgabe von Hitlers '“Mein Kampf“ veröffentlicht und musste statt für Fantes Buch um die eigene Reputation kämpfen. Fante gab auf. Er war verheiratet und hatte vier Kinder. Literarische Ambitionen brachten kein Essen auf den Tisch. Er ging nach Hollywood, „wo die Künstler getötet werden“, wie er an seinen Lektor schrieb. Er trank mit Faulkner. Verfasste Drehbücher für mittelmäßige Filme. Verdiente sogar gutes Geld. Und ließ die Finger von den Romanen. Schweigen bis in die 70er Jahre.

 

Charles Bukowski brachte ihn endlich ins Gespräch. Da war Fante schon 70 Jahre alt: „Eines Tages holte ich ein Buch heraus, öffnete es und da war es. Einen Moment lang stand ich lesend da. Dann trug ich wie ein Mann, der Gold auf der Müllkippe gefunden hat, das Buch zu einem Tisch ... Hier war endlich ein Mann, der keine Angst vor Emotionen hatte. Mit überwältigender Schlichtheit vermischten sich Humor und Schmerz. Für mich war dieses Buch ein großartiges, wildes Wunder. Das Lob des Schriftstellers galt einem sehr kranken Mann, denn Fante litt seit Jahren unter schwerer Diabetes. Aber Bukowskis Hymne gab Fante noch einmal seine Lebensfreude und Energie zurück. Erblindet diktierte er seiner Frau Joyce die letzten Bücher. Kurz vor dem Tod vollendete er „Dreams from Bunker Hill“. Es wurde als „Warten auf Wunder“ ins Deutsche übersetzt. Sicher keine exakte Übersetzung, aber als Titel die Zusammenfassung von Fantes Leben.

 

Wieder heißt der Held Arturo Bandini, und so tritt er nach mehr als einem Vierteljahrhundert wieder in die Welt: „Eines Abends saß ich auf dem Bett in meinem Hotelzimmer in Bunker Hill, mitten im Herzen von Los Angeles. Es war ein bedeutsamer Abend in meinem Leben, weil ich mich wegen des Hotels entscheiden musste. Entweder ich zahlte oder ich verschwand. Das jedenfalls stand auf der Nachricht, die mir die Vermieterin unter der Tür durchgeschoben hatte. Ein Problem, dass höchste Aufmerksamkeit verdiente. Ich löste es, indem ich die Lichter ausknipste und zu Bett ging.“ Man muss diesen Bandini einfach mögen. Er ist ein Verlierer. Ein Großmaul. Ein Schwindler. Aber er erhebt sich über seinen tristen Alltag und verwandelt das Leben in pure Phantasie. Denn er ist ein Schriftsteller, der verkannteste Schriftsteller der Welt sogar, der die beste ungedruckte Novelle aller Zeiten im abgeschabten Koffer liegen hat, ein großer Künstler von eigenen Gnaden, der zwischen Arbeitswut und Angst schwankt und sich hinweghilft über seine Depressionen, indem er Texte von Knud Hamsun abkupfert: „Ich hatte siebzehn Dollar im Geldbeutel. Siebzehn Dollar und die Angst vorm Schreiben. Bitte Lieber Gott, bitte Knud Hamsun, verlass mich jetzt nicht. Ich fing zu schreiben an und ich schrieb: ‚Die Zeit ist gekommen, sagte das Walross, zu reden von vielen Dingen...’ Ich schaute es an und schürzte die Lippen. Es war nicht von mir, aber, zum Teufel, irgendwo musste man ja anfangen.“

So denkt Arturo Bandini, Hilfskellner und verwirrter Liebhaber, Baseballfan und Drehbuchschreiber. Immer wieder fällt er auf die Nase, immer wieder fängt er von vorne an: Ein Stehaufmännchen mit Narben auf der Seele, aber in der Substanz unverwundbar, ein Holden Caulfield der Depressionszeit.

 

Der Eichborn-Verlag hat vor vielen Jahren auch das erste Buch von Fante herausgebracht, das er 1934 schrieb und erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde: Die Jugendgeschichte des Arturo Bandini: „Sein Weg nach Los Angeles“. Es ist ein Ausflug in die Welt der Restaurantküchen und Lagerhallen, in denen Bandini vor seinem unbestreitbar bevorstehenden Durchbruch arbeiten muss. Natürlich ist diese Knochenmühle nur eine gigantische Materialsammlung für den epochalen Roman über die kalifornischen Fischfabriken. Am Ende reist Bandini „in die Stadt der Engel“, um seine „sich abzeichnende Karriere in tiefer Einsamkeit" zu beginnen...

Seine – und damit Fantes – Zauberformel heißt Hingabe. Hingabe an die Arbeit. An die Liebe. An das Handwerk des Schreibens. Das wirkt märchenhaft in seiner Gradlinigkeit und spottet natürlich jedem modernen Lebensgefühl. Aber es ist unbestreitbar, dass das Leben und die eigenen Gefühle nicht sein könnten, wie Bandini sie fühlt: „Es war verrückt, unmöglich und dumm, aber ich wollte der Teppich sein, über den sie ging, das Bett, in dem sie schlief, die Seife, die ihre Haut wusch, die Klobrille, auf der sie saß“.

 

Fante selbst hatte allen Grund zu verbittern. Als Schriftsteller ignoriert, in Hollywoods Büros ständig unterfordert, schwer krank ans Haus gefesselt. Aber er wollte es nach Bukowskis Lob noch einmal wissen und schrieb die Geschichte der Familie Molise, lauter Seelenverwandten von Arturo. In „Es war ein merkwürdiges Jahr“ ist es Dominic Molise, der im Jahre 1933 gegen Widerstand seines Vaters Baseballspieler werden will und fast vom Weg abkommt durch seine erste |große Liebe: „Endlich waren wir allein, Dorothy Parrish und Dominic Molise. Es war der Höhepunkt meines Lebens.“ In „Westlich von Rom“ stellt Fante den Sohn von Dominic vor, Henry Molise, der in den 70er Jahren sein Glück als Drehbuchautor in Hollywood sucht und im Krieg mit seiner Frau lebt, von den drei erwachsenen Kindern in den Wahnsinn getrieben wird und alle Liebe auf seinen Hund „Stupid“ richtet. Und dann, schon süchtig nach dieser Familie, muss man „Unter Brüdern“ lesen. Fantes Meisterwerk ist der traurig-komische Abgesang auf die italienischen Einwanderer, die sich assimiliert haben und doch von ihren heimatlichen Dörfern träumen, die sich in Hassliebe anhängen und keinem Streit aus dem Weg gehen, die stolz sind auf ihre Arbeit und trotz aller Nackenschläge und Demütigungen niemals ihre Lebensart aufgeben. Sie rauchen Unmengen von Zigaretten, trinken Chianti flaschenweise, spielen leidenschaftlich gerne Karten, palavern Stunden mit ihren Freunden und essen sich durch Berge von Pasta. Sie scheinen nichts als Stereotypen zu sein und gewinnen doch durch Fantes Kunst Kontur als Menschen von Fleisch und Blut. Vielleicht sind sie so lebendig, weil ihre Geschichten um Liebe, Arbeit und Tod kreisen, die einzig wirklich wichtigen Fragen. Und so erzählt Fante vom langen Sterben des Nicholas Molisle, dem Maurer, Trunkenbold und altem Bock, der weinselig im Kreis seiner Freunde die letzten Stunden vertrinkt, weil es besser ist „unter Freunden als unter Ärzten zu sterben“. Fante selbst sagte über sein Buch: „Dies war das einzige Buch, das mir ungeheure Freude beim Schreiben bereitete. Meine Wortwahl machte ich glücklich. Manchmal dachte ich, sie ist brillant. Manchmal weinte ich, als ich das Buch schrieb."

Es spricht für den Goldmann-Verlag, es nach zwanzig Jahren wieder einmal mit Fante versucht zu haben, diesmal in Übersetzungen des Schweizer Schriftstellers Alex Capus, die weniger derb und zotig sind als die alten. Vielleicht hat Capus ja noch Lust auf die weiteren sechs Romane von Fante. Eine kleine Fangemeinde, die doch irgendwann einmal größer werden muss, wird sich darüber freuen.

 

 

 

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