Als ich dieses Buch schrieb, war die Bremer Brauerei noch ein Familienunternehmen. Ich erinnere mich noch gut daran, dass mein Viertel mit dem am Fluss gelegenen Unternehmen immer nach Hopfen und Kaffee roch, denn Jacobs hatte den Stammsitz auf der anderen Straßenseite.

 

 

125 JAHRE BECK'S BIER

Die Gründer und ihre Zeit

 

Am 18. Januar 1871 wurde Wilhelm I. im Spiegelsaal von Versailles zum deutschen Kaiser gekrönt. Die Mitglieder des Norddeutschen Bundes, zu denen auch die Freie Hansestadt Bremen gehörte, standen eher am Rande der Versammlung. Die pompöse Festlichkeit war ihrer vom weltweiten Handel geprägten Lebensart fremd. Aber auch sie hofften auf eine erfolgreiche Zukunft. Das Deutsche Reich konstituierte sich als Zusammenschluss souveräner Königreiche, Herzogtümer und freier Städte. Es war symptomatisch, dass die Präambel der neuen Verfassung die Mitglieder des Norddeutschen Bundes summarisch aufführte. Bremen wurde nur eine einzige von 58 Stimmen im Bundesrat gewährt. Die Stadt war zwar noch immer ein wichtiger Hafen und verteidigte seit Jahrhunderten den politischen Status als Stadtrepublik. Aber jetzt lag sie mit ihren 100000 Einwohnern am Rande Deutschlands. Bremens Interessen mussten sich denen des Reiches unterordnen.

 

Bremer Schornsteine

Nach dem Niedergang der Hanse hatte die Stadt an Bedeutung verloren. Sie verdankte es einzig ihrem Bürgermeister Johann Smidt, dass ihr der Wiener Kongress die Unabhängigkeit beließ. Bremen nutzte diese Freiheit für den Handel mit Baumwolle und Tabak aus Amerika, den Import von Kaffee aus Brasilien und Mittelamerika, den Kauf von Zucker und Reis in der Karibik und in Asien. Der Bau der jungen Schwesterstadt Bremerhaven im Jahre 1827 stärkte die Aktivitäten der Kaufleute und Handelsagenturen. Durch große finanzielle Anstrengungen hatte Bremen mit diesem neuen Meerhafen ein Tor zur Welt geöffnet. Denn noch immer richtete sich der Blick der Bremer Kaufleute nach Übersee. Ein geflügeltes Wort besagte, dass „des Bremers Schornsteine auf dem Wasser schwimmen und es solcher auf dem Lande nicht bedarf“. Weitsichtigere Bremer Unternehmer erkannten, dass mit der Industrialisierung ein neues Zeitalter begann. So floss weiterhin Kapital in den Ausbau maritimer und landseitiger Logistik. Aber immer häufiger legten Investoren ihr Geld in Manufakturen und Fabriken an. Sie begannen, eingekaufte Rohwaren zu veredeln und weiterzuverkaufen.

 

Die Stadt profitierte auch von der Auswanderung. Zwischen 1821 und 1831 wanderten 7 730 Deutsche nach Amerika aus. Im folgenden Jahrzehnt waren es schon 150.000, im nächsten 500.000 Menschen. Und die Mehrzahl von ihnen reiste via Bremerhaven in die Neue Welt. Zwischen 1832 und 1851 bestiegen 374.000 Auswanderer die Schiffe im wachsenden Hafen. Ihre Ausgaben für Fahrkarten, Unterkünfte und Proviant flössen als Kapital in den Aufbau der Bremer Industrie. Als eines der neuen Unternehmen nahm der Norddeutsche Lloyd die Arbeit auf, der später das Bremer Kaiserbier in die Welt transportieren sollte.

 

Ein Brauer in Amerika

Ein Mann, den der Geist der neuen Zeit beflügelte, war der Braumeister Heinrich Beck. Er kam aus Großeislingen in Württemberg und hatte sein Handwerk in einer kleinen Landbrauerei gelernt. In der Region sah er keine Aufstiegsmöglichkeiten. Aber er hörte von großen Chancen, die sich jenseits des Atlantiks boten. Viele deutsche Auswanderer hatten in Amerika eine Heimat in der Fremde gefunden. Heinrich Beck reiste 1854 nach Chicago. Die Stadt profitierte von ihrer Lage als Umschlagplatz am Lake Michigan. Mitte der fünfziger Jahre des Jahrhunderts, als Heinrich Beck in der Stadt lebte, hatte sie gerade 50.000 Einwohner. 50 Jahre später sollten es schon 1,6 Mio. sein. Seine Ausbildung half dem Württemberger, eine Anstellung zu finden. Denn Facharbeiter unter den Emigranten waren rar. 70 Prozent kamen als Tagelöhner oder ungelernte Arbeiter, 20 Prozent waren Bauern, und nicht einmal jeder Zehnte war ein gelernter Handwerker. Heinrich Beck kam auch seine Herkunft zugute, denn viele Braubetriebe wurden von Deutschen geleitet.

 

Heinrich Beck arbeitete im Pilsener Brauhaus, das in Chicago eine Zweigstelle eröffnet hatte. Dann wanderte er weiter in den Nachbarstaat, nach Fort Wayne in Indiana, wo ihn die deutsche Kolonie einer geruhsamen Provinzstadt erwartete. Einige Zeit verbrachte er im Bierbrauerzentrum Milwaukee, in dem ebenfalls deutsche Experten ihr Geld verdienten.

 

Die Kaiserbrauerei

Nach seiner Rückkehr im Jahre 1864 fand Heinrich Beck eine Anstellung in der Bremer St. Pauli-Brauerei, in die Lüder Rutenberg, der spätere Gründer der Kaiserbrauerei, investiert hatte. Er heiratete 1865 die Bremerin Christine Düring und sorgte für seine bald sechsköpfige Familie. Die St. Pauli-Brauerei arbeitete, nach einer früheren Verlustperiode, unter der Ägide des neuen Besitzers Lüder Rutenberg wieder mit Gewinn. Sie war die größte der siebzehn Bremer Brauereien. Nur wenige Jahre zuvor hatte die Brauer-Societät noch fast drei Dutzend kleine Braustätten verzeichnet. Aber die Einführung der Gewerbefreiheit – und damit der Wegfall der Beschränkungen für Betriebsgründungen, Betriebsgröße und Art der Produktion – hatte viele der Familienbetriebe zur Aufgabe gezwungen. Die Mechanisierung der Produktion entschied über die Konkurrenzfähigkeit einer Brauerei. So ersetzten Rührvorrichtungen die manuellen Tätigkeiten an den Maischbottichen und Sudpfannen. Die notwendigen Investitionen konnten aus den schmalen Renditen der kleinen Familienbetriebe nicht getätigt werden. Aber Investitionen wurden zum ausschlaggebenden Faktor des Bestandes und der Fortentwicklung einer Brauerei.

 

Heinrich Beck kam nicht zurecht mit dem Teilhaber und technischen Leiter der St. Pauli-Brauerei, Carl Ludwig Wilhelm Brandt. Das geht aus Lüder Rutenbergs „Denkbuch“ hervor, in dem er schreibt: „Die S., Pauli-Brauerei war hauptsächlich durch die Tüchtigkeit des Braumeisters in Flor gekommen, H. Beck, welchem ich, wenn er mir wohl klagte, daß mit Brandt gar nicht mehr umzugehen sei, zugesagt hatte, ich würde, falls er abgehen müsse, schon für ihn sorgen.“ Rutenberg sollte sein Versprechen einlösen. Die Gelegenheit ergab sich im Jahre 1873.

Heinrich Beck genoss Lüder Rutenbergs Achtung. Er sah in ihm den Produktionsleiter seiner neuen Brauerei. Der Baumeister und der Braumeister wurden handelseinig. Gemeinsam mit dem Prokuristen der Firma, Thomas May, gründeten sie am 27.6.1873 unter Einbeziehung der Gebäude der in Konkurs gegangenen „Neustadts-Actien-Brauerei“ die „Kaiserbrauerei Beck & May.“ Der Name der neuen Brauerei zeigt, dass Lüder Rutenberg mehr am Geschäft des Unternehmens als am öffentlichen Auftritt lag. Obwohl seine Einlage schon bald, nach den notwendigen Neu- und Umbauten, mit 100.000 Mark die der Partner um das jeweils Zwölffache überstieg, hielt er sich im Hintergrund.

 

Ein Baumeister und Architekt

Lüder Rutenberg, der Finanzier der Kaiserbrauerei, war einer der bekanntesten Unternehmer Bremens. Er wurde 1816 als Sohn eines Baumeisters in der Bremer Vorstadt geboren. Sein Geburtshaus stand nahe der Gräben, die früher einmal die Stadt umschlossen und sicherten. Rutenberg hatte bei seinem Vater das Maurerhandwerk gelernt. Nach dem Lehrabschluss im Jahre 1836 ging er auf eine Rundreise durch halb Europa. Zuerst studierte er auf Wunsch seines Vaters jeweils ein Jahr an den Akademien von Kopenhagen und St. Petersburg. Seine nächste Station war Berlin, wo Rutenberg den preußischen Stil studierte, aber auch Vorlesungen über Physik, Chemie und Technologie besuchte. Anschließend reiste er weiter nach Paris, wo er den Winter verbrachte. Im Frühling fuhr er für mehrere Monate nach Rom. Dann kehrte er über Prag, Wien und Berlin nach Bremen zurück. Er brachte seine Erfahrungen in einen Entwurf für den Bau einer neuen Kunsthalle ein, mit dem er überraschend den Architektenwettbewerb gewann. Anschließend entwickelte er seinen Bausstil, der bis heute das Gesicht Hunderter Bremer Häuser prägt.

 

Sein Erfolg als einer der größten Bremer Wohnungsbauunternehmer hätte ihm erlaubt, ein ruhiges Leben zu führen. Stattdessen wandte er sich einem völlig fremden Gewerbe zu: dem Bierbrauen. In seiner Entscheidung, in die St. Pauli-Brauerei zu investieren, mischte sich die Lust an den „richtigen Speculationen“ (wie es im Denkbuch heißt) mit einem ausgeprägten Familiensinn. Rutenberg wollte seiner Schwester Gesine ein Auskommen schaffen, deren Familie „in große Noth gerathen“ war.

 

Zwischen Euphorie und Ernüchterung

Die Gründung der Kaiserbrauerei Beck & May fand an der Schwelle zwischen Gründereuphorie und Ernüchterung statt. So waren die ersten beiden Jahre für die Brauerei schwierig. Begünstigt durch die gesetzliche Liberalisierung der Bestimmungen zur Gründung von Kapitalgesellschaften, kauften rührige Unternehmer kleine Fabriken und wandelten sie in Aktiengesellschaften um. Ein Aufsichtsrat, dem gewöhnlich ein Adeliger vorstand, wurde gegründet. Ein Prospekt erschien und versprach hohe Renditen auf die Einlagen. Die ausgegebenen Aktien fanden reißenden Absatz. Als aber im Februar 1873 ein Politiker der Nationalliberalen Partei im Reichstag enthüllte, dass einige Gesellschaften unseriös operierten, und Regierungskreise in dubiose Geschäfte mit Lizenzen für Eisenbahnen verwickelt waren, machte sich unter den Anlegern Nervosität breit. Als wenig später deutsche Investoren, die ihr Geld in amerikanische Anleihen investiert hatten, in Schwierigkeiten kam, brach eine Panik aus. Als erste bedeutende Gesellschaft ging die in Übersee engagierte Quistorpsche Vereinsbank in Konkurs. Sie zog 31 Unternehmen in den Abgrund. Es geschah das Unvermeidliche. Aktien überschwemmten die Börse. Die Kurse fielen ins Bodenlose. Lüder Rutenberg notierte Weihnachten 1874 über diese Zeit in seinen Erinnerungen: „Das Jahr 74 bezeichnet einen krassen Wende punkt im Geschäftsleben. Nach dem Friedensschluss und der Zufuhr des französischen Geldes hatte sich alles, was Geschäft heißt, bis Frühjahr 73 in schwindelnde Höhen erhoben, da plötzlich tritt, vielleicht durch einen Zufall angeregt, plötzlich eine Stockung ein und gleich darnach ergreift eine allgemeine Panik die Gemüter... Bis jetzt hat sich der unsichere geschäftliche Zustand noch fortwährend verschlimmert ... Alle Besitzenden haben verloren, die am meisten, die ihr Vermögen in Actien von Geschäftsunternehmungen gesteckt, viele sind ganz arm geworden. Wie viel ich weniger habe als vor einem Jahr, kann ich nicht bestimmen. Müsste ich aber jetzt mein Vermögen zu Geld machen, würde der Verlust mehr als eine Million Mark ausmachen.“

 

Die ersten Jahre

Aber nicht nur die Finanzkrise erschwerte den Fortgang der Geschäfte. Für das eigentliche Geschäftsziel der Kaiserbrauerei, die Produktion von Bier für den Export, fehlten die notwendigen Geschäftsbeziehungen. Allein mit dem Bockbier-Verkauf vom Wagen an Gastwirtschaften in der Umgebung, der im April 1874 begann, konnte das junge Unternehmen nicht in die Gewinnzone fahren. Bald wurde außerdem deutlich, dass der Braumeister mit der Verantwortung für die Produktion und den Verkauf überlastet war. Heinrich Beck ließ sich 1875 vertraglich festschreiben, dass er aus der kaufmännischen Leitung des Betriebes ausscheiden werde, um sich allein auf die Produktion zu konzentrieren. Die beiden anderen Teilhaber hatten sich in demselben Vertrag verpflichtet, Becks Frau nach seinem Tode eine stattliche Pension auszuzahlen, solange die Brauerei fortfahren würde „das Pilsener Bier nach derjenigen Anweisung zu brauen, welche Herr Heinrich Beck in einem versiegelten, erst nach seinem Tode zu öffnenden Schriftstück bei Herrn Lüder Rutenberg hinterlegt hat“. Dieser Passus war weit in die Zukunft gedacht. Heinrich Beck war gerade 43 Jahre alt. Es hielt zu diesem Zeitpunkt sicherlich keiner der Unterzeichnenden für möglich, dass Heinrich Beck nur noch sechs Jahre zu leben hatte. Ein weiterer Paragraph des Contractes zeigt, dass schon im Beginn Unstimmigkeiten zutage traten: „Sollten zwischen den Herren Beck und May Differenzen entstehen, so unterwerfen sich dieselben der Entscheidung des Herrn Rutenberg; sollten diese Differenzen derart sein, dass sie nach Ansicht des Herrn Rutenberg sich nicht ohne Geschäftsstörung ausgleichen lassen, so muss derjenige von ihnen beiden, hinsichtlich dessen Herr Rutenberg dies für erforderlich hält, aus der Firma austreten“. Diese Geschäftsstörung ließ nicht lange auf sich warten, denn „die beiden Compagnons... (waren) in unlösbaren Conftlict gerathen“. Grund war das schlechte Betriebsergebnis, an dem jeder dem anderen die Schuld gab. So trat dieser Paragraph noch im Jahr der Unterzeichnung in Kraft. Mit Mays Ausscheiden firmierte die Kaiserbrauerei Beck & May am 1. Oktober 1875 in Kaiserbrauerei Beck & Co um.

Während der Gründerzeitkrise stagnierten auch die Geschäfte des Bauherren Lüder Rutenberg. Die Grundstücks- und Immobilienpreise sanken. Konkurrenten gingen in Konkurs. Die Kaiserbrauerei konsolidierte Lüder Rutenbergs finanzielle Lage. Am 1. September 1882 schrieb er in seinem „Denkbuch“:“... in den schlechtesten Zeiten 1872/76 kam ich selbst in Besorgnis. Als Bauunternehmer musste auch ich unter dem allgemeinen Misstrauen leiden, jedoch hatte ich soviel Credit, dass mir nichts anzuhaben war. Wurde mir ein Hausposten gekündigt auf 3 Monate, so war ich in der Lage, den Gläubigern auf sofort Zahlung bieten zu können. Jedoch wurde meine Stellung erst gefestigt, als die Kaiserbrauerei anfing, statt Zuschuss 1875 ca. M. 6. 000 gute Überschüsse zu bringen...“ Anderthalb Jahre vor seinem Tode, am 4. Januar 1889, zog er ein Resümee: „Gottes Segen hat auf dem Brauereigeschäft geruht, Gewinn hat sich noch allemal vergrößert...“

 

 

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