Dieser Text ist Teil eines Kataloges, den ich für eine Ausstellung der Bundesarchitektenkammer im ehemaligen Staatsratsgebäude in Berlin schrieb.

 

 

BRÜCKEN

1.1 Brücken – früher und heute

 

Die Brücke ist eines der ältesten Symbole der Menschheit. Sie ist einerseits ein Menschenwerk aus Holz, Stein, Stahl oder Beton zur Überwindung von natürlichen Hindernissen. Sie ist andererseits eine seit Jahrtausenden viel genutzte Metapher für die Überwindung von Schwierigkeiten und Gegensätzen.

 

In der Überquerung der Brücke steckt sowohl eine pragmatische als auch spirituelle Bedeutung. Immer steht die Brücke im Zusammenhang mit dem Weg. Sie trägt über Hindernisse hinweg. Sie hilft dem Einzelnen oder der Gruppe, die Reise fortzusetzen. Sie bringt Menschen zusammen. Und sie verbindet Städte und Regionen. Brücken waren Pilger- oder Kaufmannsweg, sie dienten als Orte feierlicher Aufzüge und als Via Triumphalis. Auf Brücken drängten sich Reisenden und Flüchtlinge, siegreiche Heere und geschlagenen Soldaten, auf Brücken trafen sich Bauern auf dem Weg zum Markt.

 

Gleichzeitig hilft die Brücke auch im geistigen Sinn Hindernisse überwinden. Sie fügt Unverbundenes zusammen. Sie hebt Trennungen auf. Sie führt über Abgründe. Politiker beschwören die „Brücken zwischen den Völkern“ oder schlagen mit Verträgen eine „Brücke in die Zukunft,“ Popsänger wie Simon & Garfunkel besingen eine „Bridge over troubled water“, und in Thornton Wilders berühmter Novelle „Die Brücke von San Luis Rey“ wird die einstürzende Inka-Seilbrücke zum Symbol des Menschseins: „Da ist ein Land der Lebenden und da ist ein Land der Toten. Die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe – das Einzig Bleibende, der einzige Sinn.“

 

Der Papst als Führer der ältesten spirituellen Institution der Menschheit heißt im Lateinischen Pontifex. Es bedeutet: „Der Brückenbauer“. Pontifex hieß auch der Priester, der an der fertiggestellten Brücke die notwendigen Rituale vollzog. Erst diese Beschwichtigung der Götter erlaubte den Menschen, den für ihre weltlichen Beschäftigungen notwenigen Weg über die Brücke zu nehmen.

 

Die Bedeutung einer Brücke lag zu aller Zeit nicht nur in vollendetem Zusammenspiel von Form und Funktion, sondern auch in ihrer metaphorischen Kraft. Eine der bekanntesten und noch immer schönsten Übergänge führt in Rom über den Tiber zu Hadrians Mausoleum, der späteren Wehrburg der Päpste im nahen Petersdom. Die heutige Engelsbrücke wurde gebaut zum Ruhm des Kaisers und symbolisierte gleichzeitig den Weg über den Styx, den Fluss der Unterwelt, ins

Reich der Toten.

 

Außerdem sind Brücken auch Zeichen der Macht. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot erwähnte im 6. Jahrhundert vor Christi die schwimmende Brücke, die der persische Herrscher Darius über die Donaumündung zum Schwarzen Meer und dem Bosporus schlagen ließ. Der römische Imperator Caesar ließ am Rhein seine berühmten Pontonbrücken nicht nur für den sicheren Übergang bauen, sondern vor allem, um die Gallier durch ein sichtbares Zeichen seiner Macht einzuschüchtern. Anderthalb Jahrtausende später ordnete Heinrich von Navarra in Paris den Bau des Pont Neuf an. Die monumentale Brücke verklammerte sichtbar das königliche Machtzentrum auf der Ile de la Cíte mit der Stadt und dem Land und versuchte, die Distanz zwischen Adel und aufstrebendem Bürgertum aufzuheben. Und im 19. Jahrhundert standen die berühmten Rheinbrücken bei Worms, Mainz, Roppenheim und Mannheim für den nationalen Brückenschlag. Sie verbanden die verfeindeten Länder Frankreich und Deutschland in friedlichem wirtschaftlichem Austausch.

 

Auch im Begriff „Brücke“ selbst steckt eine tiefere Bedeutung. Einige römische Brücken hießen Viadukte, das Wort ist abgeleitet aus dem Stamm „via“, dem Weg. Und aus „via“ wurde der spanische Begriff „viaje“ – Reise – geformt.

 

 

TEIL 2 DAS MATERIAL

2.1. Holzbrücken

Die erste Brücke war entweder ein Ensemble von Steinen in einem flachen Fluss oder ein umgestürzter Baumstamm, der die Ufer eines Baches oder Hänge eine Schlucht verband. Von dem zufälligen Steg über das Wasser oder eine Tiefe war es nur ein kleiner gedanklicher Schritt zur ersten einfachen Konstruktion. Es lag nahe, den schmalen Übergang durch einen zweiten Stamm zu verbreitern oder ihm durch quergelegte Zweige mehr Standsicherheit zu verschaffen. Und von dieser Urfom der Brücke war es kein weiter Weg zum Einbau von stützenden Streben im Untergrund, um die Spannweite zu erhöhen und die Tragkraft zu steigern.

 

Eine besonders eindrucksvolle Holzbrücke ist uns durch eine Darstellung auf der Trajanssäule in Rom überliefert. Diese fast 1.000 m lange Konstruktion überspannte die Donau in Dacien, dem heutigen Rumänien. 21 hölzerne Bögen überspannten jeweils 32 Meter. Sie standen auf steinernen Pfeilern, die wiederum auf hölzernen Pfählen gründeten.

 

Holzbrücken wurden vor allem in Asien zu formvollendeten Kunstwerken ausgebaut. Berühmt waren die chinesischen Zickzackbrücken, die den Teufel bannten, da nach dem konfuzianischen Glauben böse Geister nicht um rechte Winkel laufen können. Auch hölzerne Bogenbrücken waren sehr populär. Ein bedeutendes Bauwerk ist die Kintai-Kyo-Brücke auf Honshu in Japan, eine hölzerne Bogenkonstruktion mit fünf Wölbungen auf Steinpfeilern, deren hölzernen Elemente seit über fast einem halben Jahrtausend alle fünf Jahre ersetzt werden.

 

Nur wenige große Holzbrücken überdauerten die Zeit. Der große Meister des 19. Jahrhunderts war der Bauingenieur I.K. Brunel, der zwischen 1849 und 1864 für verschiedene britische Eisenbahngesellschaften insgesamt 64 Holzbrücken baute, deren letzte 1934 abgerissen wurde. Heute sind vor allem in Amerika noch zahlreiche Holzbrücken zu bewundern, über die sich die Lokomotiven den Weg in den Westen bahnten. Eine der leider immer selteneren deutschen Holzbrücken überspannt mit einer Länge von 206 m in Bad Säckingen den Rhein und dient heute, nachdem sie mehrfach durch Feuer zerstört und wieder erneuert wurde, als Fußgängerbrücke zwischen Deutschland und der Schweiz.

 

2.2. Steinbrücken

Vermutlich waren, wie schon gesagt, ausgewaschene Steine die ersten natürlichen Brücken über einen Fluss. Eine solche geologische Gegebenheit gab wahrscheinlich den Anstoß, größere Felsplatten auf die umspülten Steine zu legen, um den Weg zu verbreitern und die Spannweite des Überganges zu erhöhen. Es spricht vieles dafür, dass bis zur nächsthöheren Technik ein sehr langer historischer Zeitraum verging. Dieser Übergang von einfachen Auslegern zum Kragbogen besteht aus aufeinandergeschichteten Lagen Mauerwerk zu beiden Seiten einer Öffnung, die nach innen vorkragen, bis sie aufeinandertreffen. Dieses Prinzip wendet noch heute jedes Kind spielerisch an, wenn es mit Legosteinen einen Übergang baut.

 

Die Entstehung des echten Bogens, keilförmig behauener Steine, die einen Halbkreis bilden, ist schwer datierbar. Durch seine Spiegelung im Wasser, die den Kreis schließt, so Illusion und Wirklichkeit verbindet, empfinden wir den Bogen noch heute als die ideale Form für eine Brücke. Zwar war der Bogen schon bei den Sumerern und den Ägyptern bekannt. Aber im Brückenbau fand der Bogen erst im 6. Jahrhundert v. Chr. Verwendung.

 

Die ersten großen Meister der Wölbtechnik waren die sagenumwogenen Etrusker. An ihren in Mittelitalien erhalten gebliebenen Bauten ist der Übergang von der Kragstein- zur Bogentechnik deutlich abzulesen. Sie waren die Lehrmeister der Römer, die aus den etruskischen Brücken mit noch sehr kleiner Spannweite ihre berühmten Bogenbrücken konstruierten. Von den acht römischen Brücken, die einst den Tiber überspannten, sind noch heute sechs vollständig oder in Teilen vorhanden.

 

Rom war ein Imperium der Straßen – und damit der Brücken. Unter Trajan wies das Römische Reich bei ca. acht Mio. Einwohnern 16.000 km Staatsstraßen aus, also zwei km Straße je 1.000 Einwohner. Das ist ein Wert, den die Bundesrepublik Deutschland erst nach dem Zweiten Weltkrieg übertraf. Um 1960 standen 59 Mio. Einwohnern 155.000 km klassifizierte Straßen zur Verfügung, also 2,6 km Straße je tausend Einwohner.

 

Mit dem Untergang des Römischen Reiches ging viel bautechnisches Wissen verloren. Erst im Hochmittelalter entstanden mit dem Aufblühen von Handel und Gewerbe in den Städten neue feste Brücken aus Holz und vor allem aus Stein. Ein herausragendes Beispiel mittelalterlicher Baukunst ist die steinerne Brücke von Avignon aus dem 12. Jahrhundert. Auf fast 900 m Länge verteilten sich 30 elliptische Bögen, die allesamt aus behauenem Werkstein ohne Mörtel gefügt waren. Mit diesem viel bewunderten Meisterwerk, von dem heute leider nur noch vier Bögen stehen, durchbrach der Baumeister das bislang enge Muster aus Rund-, Krag- und Spitzbögen. Eine andere berühmte Brücke ist der Ponte Vecchio in Florenz aus dem Jahre 1345. Damals wie heute sind die drei flachen Bögen mit Häusern und Läden überbaut, ist die Brücke eine quirlige Geschäftsstraße über dem Fluss, in dem vor allem Juweliere und Goldschmiede in winzigen Räumen teuren Schmuck verkaufen.

 

Vorbild dieser berühmten Strasse über das Wasser könnte die sandsteinerne, noch heute zu bewundernde Krämerbrücke in Erfurt sein, die zwanzig Jahre vor der florentinischen entstand. Ihren Namen gaben ihr die Krämer, die in 62 winzigen ein- und zweistöckigen Häusern ihre Waren anboten.

 

Die erste große Brücke des deutschen Mittelalters entstand jedoch zwischen 1135 und 1146 in Regensburg und hat im Laufe ihrer langen Geschichte Hochwasser und gewaltige Eisstöße, kriegerische Auseinandersetzungen und steigende Verkehrslasten überstanden. Heute ist die „Steinerne Brücke“ mit ihren 14 Bögen, deren Breite zwischen 10,45 m und 16,70 m variieren, neben dem Dom das bedeutendste Wahrzeichen der Stadt. Vor allem diesem größten erhaltenen technischen Profanbau des Mittelalters hat Regensburg den Aufstieg zur wichtigen Handelsmetropole an der Donau zu verdanken.

 

Ein Durchbruch zu neuen Formen gelang erst in der Renaissance. Ein herausragendes Beispiel für eine innovative Gestaltung ist die Rialtobrücke in Venedig, um deren Neubau im Jahre 1592 sich fast alle bedeutenden Architekten der Zeit bewarben, u.a. Palladio und Michelangelo. Auf 6.000 Erlenpfeilern gegründet, hat die Brücke mit einem Bogen von 27 m sogar das große Erdbeben Ende des 16. Jahrhunderts überstanden und überspannt bis heute den Canale Grande.

 

Wenige Jahre nach der Rialtobrücke entstand die berühmte steinerne Fleischerbrücke in Nürnberg. Allein das Widerlager, die massiven Befestigungen zu beiden Seiten des Wassers, wurden aus fast 10.000 Quadern gesetzt. Nach der Aufstellung des Lehrgerüstes bauten in nur neun Wochen 150 Steinmetze und 160 Hilfsarbeiter aus über 3.000 Keilsteinen den Bogen über den Fluss. Auch diese Meisterleistung der Brückenbaukunst überdauerte die Zeiten und trägt seit über 400 Jahren Menschen und Fahrzeuge über die Pegnitz.

 

Ein letztes Beispiel für den deutschen Steinbrückenbau ist die ungewöhnliche Oberbaumbrücke in Berlin. Sie wurde 1894 als massive Steinbrücke mit sieben Gewölben, einem zinnenbewehrten Tragwerk und aufgesetzten Wehrtürmen als Teil der neuen Berliner Hochbahnstrecke über die Spree gebaut. Als Ost-West-Verbindung für Jahrzehnte stillgelegt, wurde die Brücke nach aufwändiger Restaurierung und Modernisierung des Tragwerkes und der Fahrbahnen 1994 dem Verkehr übergeben.

 

2.3. Stahlbrücken

Da die Eisengewinnung bis ins 18. Jahrhundert hinein nur durch die wenig ergiebige und viel zu teure Verbrennung von Holzkohle möglich war, kam Eisen als Werkstoff im Brückenbau nur für Verbindungen wie etwa Nägel und Bolzen zum Einsatz. Aber 1735 gelang in England endlich die Herstellung von Roheisen in größeren Mengen zu günstigen Preisen, was einen Weg zur Konstruktion von Eisenbrücken eröffnete. Die Bedeutung dieser Möglichkeit für den Brückenbau war riesig, denn mit dem Eisen tauchte zum ersten Mal in der Geschichte ein Material auf, das nicht unmittelbar in der Natur zur Verfügung stand.

 

Es entstanden seit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur immer mehr, sondern auch immer größere Brücken. Der Schub wurde ausgelöst durch das neue Transportmittel Eisenbahnen und dem mit dem „Dampfkessel auf Rädern“ verbundenen sprunghaften Anwachsen der Verkehrslasten. Die größte Herausforderung für die Brückenbauer war das Phänomen der Geschwindigkeit. Durch das bisher nie gekannte Tempo der 100 Tonnen schweren Dampflokomotiven wurden die Brücken wesentlich höheren Belastungen ausgesetzt. Der Begriff der kritischen Geschwindigkeit kam auf. Er beschrieb die Resonanzwirkungen, die zu höchst gefährlichen Schwingungen der Brückenkonstruktionen führte. Die Reaktionen auf das neue Phänomen muten heute abenteuerlich an: Geschichten erzählen von Lokomotiven, die langsam vorsichtig zur Mitte von Brücken ratterten, das pendelnde Bauwerk ausschwingen ließen und dann weiter fuhren.

 

Das Gusseisen erwies sich wegen seiner mangelnden Elastizität als nicht sehr geeignet für den Bau von Eisenbahnbrücken. Es konnte zwar großem Druck standhalten, war aber mit Zugkräften nur unzureichend belastbar. Für kurze Tragwerke allerdings erwies sich das Eisen als echte, dem Stein überlegene Alternative.

 

Der Qualitätssprung bei den Eisenbrücken gelang vor allem durch die Ablösung des Gusseisens durch das Walzeisen. Ein neues Verfahren, in dem geschmolzenes Roheisen auf dem Feuer ständig umgerührt wurde, verbrannte einen großen Teil des für die negativen Materialeigenschaften verantwortlichen Kohlenstoffes im Gusseisen. Das Ergebnis war ein weicher und biegsamer Stahl ohne die Sprödigkeit des gegossenen Materials. Die Herstellung großer Bauteile konnte beginnen.

 

Die erste Brücke ganz aus Stahl datiert auf das Jahr 1879. Knapp zwanzig Jahre später ersetzte ein Stahlbogen die Hängebrücke über den Niagara. In Deutschland entstand nach dem Zollanschluss Hamburgs an das Deutsche Reich in den Jahren 1884/87 mit der Norderelbbrücke die bislang größte Stahlbrücke Deutschlands mit drei Stromöffnungen von jeweils 100 m Weite. Die architektonisch faszinierenden Überbauten, die an drei stählerne Unendlichkeitszeichen erinnerten, ruhten auf massiven, mittelalterlichen Stadttoren nachempfundenen Portalen mit zinnenbewehrten Türmen und zwei wuchtigen Strompfeilern. Das wachsende Verkehrsaufkommen bedingte während der Weimarer Republik den Bau einer Zwillingsbrücke, die mit der älteren Schwester noch bis in die sechziger Jahre als Elbübergang diente.

 

2.4. Betonbrücken

Der reine Beton als Mischung aus Kies, Sand, Wasser und hydraulischen Bindemitteln ist fast 6000 Jahre alt. Archäologen fanden im südlichen Irak Tempelüberreste aus einer Art Gussbeton. Auch die Römer nutzten vulkanische Ablagerungen als Bindemittel, die Kalk und Wasser zu großer Festigkeit verbanden. Aber wie so vieles geriet der uralte Werkstoff mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches in Vergessenheit und wurde erst im 18. Jahrhundert wiederentdeckt und sporadisch im Brückenbau eingesetzt. Der große Erfolg blieb allerdings aus, weil der Baustoff eine hohe Druck-, aber eine sehr niedrige Zugfestigkeit aufwies.

 

Im frühen 19. Jahrhundert nutzten Ingenieure natürlichen Zement und künstlich hergestellten Portlandzement zum Ausfüllen der Fugen und Verputzen von Mauerwerk sowie zum Bau von Fundamenten. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden erstmals Betonbrücken in Europa und Amerika, und da es sich bei dem verwandten Material um „künstlichen Stein“ handelte, folgten die Entwürfe der traditionellen Steinbauweise – dem Bogen. Natursteinverkleidungen oder imitierte Gewölbesteine unterstrichen die nicht sehr hohe Achtung des Materials.

Erst durch die Einarbeitung eines Stahles wurde aus Beton ein idealer Baustoff für Brücken. Die grundlegende Idee beim Stahlbeton ist die Herstellung einer Materialverbindung, der es gelingt, die hohe Zugfestigkeit des Stahls mit der Druckfestigkeit des Betons zu vereinen. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Eisen gelegentlich in Beton eingebettet, um ihn zu festigen. Die Entdeckung der wahren strukturellen Möglichkeiten des Betons wird dem französischen Gärtner Joseph Monier zugeschrieben. 1867 meldete er ein Patent zur Herstellung von Pflanzkübeln aus Zementmörtel an, die durch ein eingebettetes Eisengeflecht verstärkt waren. Andere Patente folgten, zuerst für Eisenbahnschwellen, 1873 für Brücken. Bereits zwei Jahre später entstand in Frankreich die erste Eisenbetonbrücke in Monier-Bauweise: eine flachgewölbte Fußgängerbrücke von 16,5 m Spannweite. 1885 erwarb der deutsche Ingenieur G. A. Wayss das Patent. Es entstanden zahlreiche kleinere Brücken, von denen die schlank und elegant wirkende Bogenbrücke mit 40 m Spannweite, die 1890 auf der Industrieausstellung in Bremen errichtet wurde, herausragt und durch ihre klare Linie besticht.

Der Franzose Eugene Freyssinet leitete den nächsten Schritt des Betonbaus ein. Er untersuchte vor allem das Phänomen des „Kriechens“, das zu Senkungen und Verformungen des erhärteten Betons unter dauernder Belastung führt. Als Gegenmaßnahme ließ er im Scheitelpunkt seiner Brücken eine Öffnung, die er später mit weiterem Beton auffüllte. Später ging er zum Vorspannen mit zugfestem Stahl über, den er in den Beton einließ. Dieses Verfahren stellte ein wirksames strukturelles Gegenmittel dar und gab dem neuen Baustoff seinen Namen: Spannbeton.

 

Spannbeton wird nach zwei Methoden hergestellt. Beim Vorspannen wird der Beton auf Stahlkabel gegossen, die unter Spannung stehen. Nachdem der Beton ausgehärtet ist, werden nach Entfernung der Gussform die Kabel von ihren Zugankern gelöst. Beim Nachspannverfahren verbleiben im gegossenen Beton Leerräume, durch die nach der Aushärtung Kabel geführt, gespannt und verankert werden. Die Vorspannmethode wird allgemein für die Herstellung von Fertigbauteilen in Fabriken eingesetzt, während die zweite Methode beim Guss großer Teile vor Ort herangezogen wird. Die Technik half gleichzeitig, die Zusammensetzung des Betons selbst und die Formgebung der Schalungen weiter zu entwickeln.

 

Das neue Material brachte völlig neue Möglichkeiten. Der Freivorbau, der erstmals 1930 für den Bau einer Betonbalkenbrücke in Brasilien erprobt wurde, erwies sich als überragende Baumethode im Großbrückenbau. Er vermeidet teure Lehrgerüste, kann Schluchten, schwierigen Untergrund und Wasserläufe überbrücken und hält unter der Brücke verlaufende Verkehrswege frei. Dem deutschen Ingenieur Ulrich Finsterwalder setzte mit der Nibelungenbrücke in der Nähe von Bendorf, die seit 1965 mit einer Stützweite von 209 m den Rhein überspannt, neue Maßstäbe. Ihr Bau bewies die enormen Möglichkeiten der neuen Bauweise.

 

Seitdem sind die Spannweiten ständig gewachsen. Die heutigen Weltmeister sind die auf einem Kastenträger aus Beton konstruierte Ostbrücke über den Großen Belt in Dänemark mit 1.624 m und die japanische Akashi-Kaikyo-Brücke mit 1.990 m, deren stählerne Pylone mit 297 m die Höhe des Eiffelturmes erreichen. Die gewaltigste reine Stahlbrücke der Welt steht in West Virginia, USA. Mit einer Spannweite von 518 m überragt der Bogen in einer Höhe von 267 m die New River Schlucht. Doch schon sind neue gigantische Projekte in Planung. In den Bereich des Machbaren rückt zum Beispiel eine Brücke über den Golf von Messina. Sie wird mit einer Spannweite von 3.000 Metern das italienische Festland und Sizilien verbinden.

 

 

2.5. Seilbrücken

Ein wichtiges Material für den Brückenbau und Vorbild vieler ausnehmend schöner Brücken ist das Seil. Sehr wahrscheinlich ist, dass sich schon vor vielen tausend Jahren Menschen an Lianen Hindernisse überwanden und mit diesem mutigen Schwung durch die Luft die erste Idee von einer an Tauen aufgehängten Brücke gewannen.

 

Ein einzelnes Seil über einem Abgrund oder genauer gesagt eine Kettenlinie, die frei zwischen zwei Ankerpunkten hängt, ist die einfachste Form der Hängebrücke. Heute gilt die schwebende Verbindung von aufstrebenden Türmen, straffen Kabeln und schlanken Fahrbahnen als wohl sinnfälligstes Bild des Begriffes "Brücke".

 

Einfache Hängebrücken sind noch heute in Gebrauch. In entlegenen Teilen Indiens stehen Konstruktionen mit bis zu 200 m Länge, die aus nichts anderem als einem geflochtenen Hängeseil bestehen. Berühmt sind auch die Brücken in Peru. Schon vor 3.000 Jahren gründeten die Inkas die Stadt Cusco und bauten im Lauf der Jahrhunderte eine 3.250 Meilen lange Straße durch die Anden, mit wohl nicht weniger als hundert Brücken. Dieser Brückenbau durch das schroffe und hoch aufsteigende Gebirge war langwierig: Die Arbeiter verarbeiteten große Mengen Korbweiden zu Seilen, die wiederum verkordelt wurden, bis sie den Umfang eines Männerkörpers erreichten. Fünf dieser Seile wurden mit Booten über den Fluss geschifft und zwischen den Felsen an „ochsendicken Balken“ gespannt. Drei der Seile dienten als Brückenbahn und wurden mit armdicken Holzknüppeln bedeckt. Die beiden restlichen Tampen dienten als Geländer, die mit feinen Schnüren an die Laufbahn knüpft wurden.

 

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden erste moderne Seil- und Hängebrücken, die sich auf die historischen Vorbilder bezogen und die Zugfestigkeit der Konstruktion mit der Druckfestigkeit des Steins kombinierten. Die Fahrbahn dieser Brücken wurde von je einer Kette seitlich getragen, die bis unter die Fahrbahn durchhing und sie damit trug. Die noch heute berühmteste Hängebrücke der Welt entstand zwischen 1933 und 1937. Es ist die das Goldene Tor von San Francisco überspannende Golden Gate Bridge.

 

2.6. Zukunft

Viele heute vorliegende Pläne und Modelle könnten niemals mit herkömmlichen Werkstoffen gebaut werden: die Spannungen und Belastungen dieser technischen „Fingerübungen“ liegen weit jenseits der hochwertigsten modernen Stahl- und Betonsorten. Aber es wurden bereits neue Materialien entwickelt, deren Erfinder glauben, dass sie den Weg zum bisher unbekannten Brückenmodell der Zukunft weisen – Zusammensetzungen aus widerstandsfähigen Kunststofffasern und anderen federleichten Materialien. Die Fasern könnten aus Glas, fast reinem Kohlenstoff oder der organischen Verbindung Aramid bestehen, ihre Umhüllung aus Kunststoffen oder Harzen.

 

Die „Grenzspannweite“ einer Brücke ist das Eigengewicht, das sie tragen kann, ohne zusammenzubrechen. In der Theorie wurden diese Spannweiten für hochwertigen Stahl bei verschiedenen Bautypen berechnet: Es ergaben sich Werte für Fachwerkkonstruktionen von 500 m; Bögen von bis zu 1.500 m, Schrägseilabspannungen von bis zu 2.500 m, Hängekonstruktion von bis zu 5.000 m. Man schätzt, dass der Grenzwert eines Tragwerks aus Kohlenstoff oder Kevlar (Aramid) bei 12 km liegen könnte.

 

Aber noch gibt es zu viele Probleme: Die Kosten natürlich, die Notwendigkeit eingehender und langwieriger Haltbarkeitstests; die Tatsache, dass solche Faserstoffe um vieles leichter als Stahl sind und neue Schwierigkeiten der Stabilität aufwerfen. Dennoch gibt es Visionäre, die schon heute Brücke denken, die jenseits unserer Vorstellung liegen: eine Brücke über die Meerenge von Gibraltar oder sogar eine Brücke, die als eine Kette von 220 Schrägseilbrücken mit jeweils 366 m Spannweite über eine Länge von 80 km Sibirien und Alaska verbindet.

 

 

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